KTG Agrar:Wildwest im Osten

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Nach der Wende gründete Siegfried Hofreiter den Landwirtschaftskonzern. Die Pleite beschäftigt die Justiz.

Von Uwe Ritzer

Zu Investoren hat Bernd Dannemann ein pragmatisches Verhältnis. "Ich muss nicht ihr Freund sein, aber wenn nur einer da ist, dann muss ich ihn hegen und pflegen." So ähnlich habe er es auch in einem Grußwort formuliert, das er auf der Feier von Siegfried Hofreiters 50. Geburtstag gesprochen hat. Einige Hundert Gäste hörten im eigens aufgestellten Festzelt zu, darunter der Hofreiter-Geschäftspartner Clemens Tönnies, Unternehmer und Präsident von Schalke 04. Damals habe er sich mit seiner distanzierten Bemerkung nicht nur Freunde gemacht, sagt Dannemann, der Bürgermeister von Putlitz.

Sechs Jahre ist das her. 2002 war die kleine Stadt im Nordwesten Brandenburgs noch der größte Standort der KTG-Firmengruppe, des größten landwirtschaftlichen Unternehmens Deutschlands. Und Siegfried Hofreiter war dessen Gründer und Vorstandsvorsitzender. Grund genug für einen Bürgermeister, den Mann herzlicher zu hofieren, könnte man meinen. Noch dazu, weil Putlitz mit seinen 1700 Einwohnern ein wirtschaftlich schwaches Städtchen ist und mit 150 Kilometern Entfernung sowohl nach Hamburg als auch nach Berlin geografisch abgelegen.

Seit Jahrhunderten prägt Landwirtschaft die Region. Zu DDR-Zeiten war hier eines der großen Kartoffelanbaugebiete des Landes, bewirtschaftet hauptsächlich von einem Volkseigenen Gut (VEG), das im Gegensatz zur Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) direkt dem Staat und nicht zwangskollektivierten Bauern gehörte. Dann kamen die Wende, die Treuhand, respektive die staatliche Bodenverwertungsgesellschaft BVVG, und irgendwann auch Hofreiter. "Ein freundlicher, redegewandter Bayer", erinnert sich Dannemann. Ein bulliger Typ mit stattlichem Bauch, schmaler Brille und Dialekt. Bauernschlau und einen Machtmenschen nennen ihn manche, er selbst sieht sich als Bauer aus Leidenschaft.

Mehr als 43 000 Hektar bewirtschaftete die KTG Agrar, in Ostdeutschland, Litauen und Rumänien. 12 000 Anleger hatten in den Betrieb investiert. (Foto: Hans Blossey/imago)

Inzwischen redet Hofreiter öffentlich gar nicht mehr, auf Anraten seines Anwalts. Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt unter anderem wegen des Verdachts auf Betrug und Insolvenzverschleppung gegen ihn und weitere Beschuldigte. Stefan Denkhaus hat Hofreiter und weitere sieben Ex-Vorstände sowie -Aufsichtsräte am Landgericht Hamburg auf Zahlung von knapp 190 Millionen Euro verklagt. Ende August wurde das Verfahren eröffnet.

Denkhaus ist der Insolvenzverwalter der KTG Agrar, die 2016 in einem Strudel aus Skandalen unterging. Mit knapp 400 Millionen Euro Schulden und 12 000 Anlegern, die etwa 340 Millionen Euro investiert und das meiste davon verloren haben. Die juristische Aufarbeitung der Pleite wird noch Jahre dauern.

Schauplatz ist dabei Hamburg, seit 2005 Sitz der KTG. Bewirtschaftet hat der Agrarkonzern (Slogan: "Wir ackern fürs Leben") jedoch fast ausschließlich Felder im Osten. Insgesamt 43 200 Hektar, ein Drittel davon in Litauen und Rumänien, die meisten in Ostdeutschland. KTG baute alle erdenklichen Feldfrüchte und Getreidesorten an, wirtschaftete konventionell und biologisch, erzeugte mit Biogasanlagen Energie und produzierte auch selbst Nahrungsmittel. Als die Firma am 4. Juli 2016 Antrag auf ein Insolvenzverfahren stellte, beschäftigte sie etwa 670 Menschen, plus Saisonkräfte.

Neben den harten, justiziablen Fakten ist der Fall vor allem die Geschichte eines Großgrundbesitzers ausgerechnet dort, wo man seinesgleichen nach 1945 nicht mehr haben wollte: auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Als Hofreiter dort auftauchte, lag schon einiges hinter dem in Regensburg geborenen Bauernsohn. Unter anderem zwei Verurteilungen wegen Konkursverschleppung.

Fahrradbau, Getränkevertrieb, Chinchilla-Zucht - Hofreiter betrieb vieles wenig erfolgreich. Vorher, als junger Mann, war er in den USA. Im Internet kursieren TV-Interviews mit Hofreiter, in denen er von der Weite Amerikas schwärmt. Sie bedeute ihm vor allem eines: "Ein großes Stück Freiheit." Die suchte er hierzulande in den riesigen Monokulturen Ostdeutschlands. In besseren KTG-Zeiten nannten ihn Medien den "bayerischen Cowboy".

Allein in und um Putlitz übernahm die KTG knapp 7100 Hektar Fläche. "Am Anfang gab es schon Ressentiments", erinnert sich Bürgermeister Dannemann, was auch mit Hofreiters Auftreten zu tun gehabt habe. Aber auch damit, dass die KTG höhere Pachten zahlte als Landwirte am Ort. Dann habe die Firma immer wieder etwas für die örtlichen Vereine springen und ein verfallenes Herrenhaus zum Tagungsort umbauen lassen. Die Stimmung wurde besser; das Haus steht inzwischen leer.

Das Gutachten des Insolvenzverwalters zeichnet ein verheerendes Bild

Stefan Denkhaus erzählt, als er im Sommer 2016 nach Brandenburg gefahren sei, habe er auf den ersten Blick erkannt, welche Felder von KTG bewirtschaftet wurden und welche nicht. Weil in denen von KTG "der Mais so niedrig stand, dass sich keine Wildsau darin hätte verstecken können". In seinem Insolvenzgutachten zeichnet Denkhaus ein verheerendes Bild von den Zuständen in der Firmengruppe mit ihren 150 Gesellschaften. "Missmanagement, Misswirtschaft, das möglicherweise bewusste Schaffen undurchsichtiger Verflechtungen innerhalb und außerhalb des Konzerns, Geldverschwendung, Eigeninteressen, eine nicht im Ansatz professionelle Unternehmensstruktur und eine vollkommen unzureichende Liquidität" beklagt der Insolvenzverwalter. Vermutlich habe die KTG-Gruppe "zu keinem Zeitpunkt nachhaltige Gewinne erzielt".

Nicht nur die Erntemenge sei schlecht gewesen, heißt es in der Klageschrift, sondern auch deren Qualität. Grund sei "insbesondere der schlechte Zustand der Maschinen und des Fuhrparks" gewesen. Während Hofreiter im Hubschrauber die Standorte abflog, sei nicht genug Geld dagewesen, um die Gerätschaften in Schuss zu halten. Die Manager hätten das "schlichtweg ignoriert und zu Lasten der Gläubiger verharmlost". Spätestens am 30. Juni 2015 war KTG nach Denkhaus' Überzeugung pleite. "Weder gab es ein tragfähiges Unternehmenskonzept", noch hätte die Firma es geschafft, die "fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen", zitiert er das Gutachten von Wirtschaftsprüfern.

Doch erst am 4. Juli 2016 stellte die KTG Insolvenzantrag. Hofreiters Anwalt Jürgen Spliedt widerspricht. Man könne bei KTG "nicht von einer vorhersehbaren Insolvenz sprechen, da Jahresabschlüsse testiert sowie offene Kreditlinien und sonstige Darlehen in Millionenhöhe zur Unternehmensfinanzierung bereitstanden". Der Vorwurf, die KTG hätte die Anleihen nicht aus der eigenen Liquidität zurückzahlen können und sei deshalb schon 2015 insolvent gewesen, sei falsch. Selbst viel größere Konzerne könnten dies nicht.

Insolvenzverwalter Denkhaus ist es relativ schnell gelungen, die Betriebsstätten zu verkaufen. Die Beteiligungen in Litauen und Rumänien für jeweils eine niedrige einstellige Millionensumme, letztere an den dortigen KTG-Partner Tönnies. Das Deutschland-Geschäft übernahm für einen einstelligen Millionenbetrag hauptsächlich die Bremer Unternehmerfamilie Zech über eine Liechtensteiner Stiftung.

Derweil dauern die Ermittlungen an, und der Zivilprozess soll im Februar oder März 2019 fortgesetzt werden. Zum Auftakt erschien Hofreiter nicht; eine SZ-Anfrage ließ er unbeantwortet. Schon 2017 berichtete das Magazin Capital, er sei längst wieder im Agrargeschäft aktiv. "Mithilfe von Vertrauten und Weggefährten" habe er in Mecklenburg-Vorpommern ein neues, "kleines Firmenreich" aufgebaut.

© SZ vom 02.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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