Kritik:Zeitalter der Blamage

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Die jüngsten Skandale zeigen: Im Jahr 2017 gehen Firmen immer noch nicht richtig mit Fehlern um, die soziale Netzwerke erregen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

United Airlines lässt einen Passagier verprügeln, die Videos davon gehen um die Welt. Pepsi veröffentlicht einen Werbefilm, der Polizeigewalt verharmlost. Adidas verschickt eine unglücklich formulierte E-Mail, die Teilnehmern des Boston-Marathons gratuliert, "das Rennen überlebt zu haben" - vor vier Jahren waren bei einem Anschlag auf dieser Veranstaltung drei Menschen gestorben. Zahlreiche Unternehmen haben in den vergangenen Wochen Marketing-Offenbarungseide präsentiert. Es ging um schlechte Werbung, um schrecklichen Kundenservice wie bei den Verzögerungen der Fluglinie Delta oder um den Umgang mit den Vorwürfen der sexuellen Belästigung gegen den mittlerweile gefeuerten Fox-News-Moderator Bill O'Reilly.

Es sind Skandale, die jeweils einzeln betrachtet und beurteilt werden müssen. Was sie jedoch eint, das ist die Rolle sozialer Medien. "Eine Geschichte wie die von United Airlines wäre doch vor 20 Jahren erst gar nicht an die Öffentlichkeit gelangt", sagt Darci McConnell. Er leitet eine Marketingagentur in Detroit und ist auf den Umgang mit Krisen spezialisiert: "Das Unternehmen hätte den Vorfall damals unter den Teppich gekehrt und sich mit dem Passagier geeinigt, ohne dass jemals jemand davon erfahren hätte. Es hätte auch kein Beweisvideo gegeben, weil damals in keinem Telefon eine Videokamera verbaut war."

Ein United-Passagier war vor zwei Wochen mit Gewalt aus einer Maschine befördert worden, weil er das Flugzeug nicht räumen wollte. Andere Gäste hatten den Vorfall gefilmt und die Videos ins Internet gestellt. United-Chef Oscar Munoz entschuldigte sich erst halbherzig, er klagte den aus dem Flugzeug Gezerrten gar als "aggressiv" und "wenig verständnisvoll" an. Als er zwei Tage später den Büßer gab ("Ich bin erschüttert, was auf diesem Flug passiert ist"), war es freilich zu spät. Der öffentliche Furor sorgte dafür, dass das Unternehmen zwischenzeitlich mehr als eine Milliarde Dollar an Börsenwert einbüßte.

Die Feststellung, dass soziale Netzwerke auch als Multiplikatoren negativer Nachrichten dienen, ist ungefähr so ausgelutscht wie der dafür noch immer unvermeidliche Begriff "Shitstorm". Es hat den Anschein, dass heutzutage die Wahrscheinlichkeit, dass sich irgendjemand über irgendwas aufregt, bei 100 Prozent liegt - und dass der Wütende immer jemanden findet, der sich mit ihm aufregt. Bleibt die Frage, warum Unternehmen, die ihre Marke pflegen wie ein sanftes Pflänzchen, auf solche Skandale noch immer so reagieren, als würden sie zum ersten Mal davon erfahren, dass sich Menschen im Internet gerne kollektiv über irgendwas aufregen.

"Die meisten Unternehmen sind überhaupt nicht oder nur sehr schlecht auf einen Skandal vorbereitet", sagt McConnell. "Sie reagieren erst einmal unsensibel und unpersönlich. Dann verteidigen sie sich, was die Sache meist noch schlimmer macht." Pepsi etwa veröffentlichte vor ein paar Wochen einen Film, der Polizeigewalt verharmloste, die Black-Lives-Matter-Bewegung für die Rechte von Schwarzen in den USA verhohnepipelte und ein hellhäutiges It-Girl als Vermittlerin bei Rassenunruhen präsentierte.

Das Unternehmen verteidigte sich erst in einem Statement: "Es fängt den Geist und die Handlungen jener Menschen ein, die in jeden Augenblick hineinhüpfen." Einen Tag später nahm Pepsi das Video vom Markt und entschuldigte sich, wie sich Konzerne meist entschuldigen: "Pepsi wollte eine globale Botschaft von Einheit, Frieden und Verständnis senden. Wir haben unser Ziel klar verfehlt, dafür möchten wir uns entschuldigen." Solche Sätze wirken schal wie eine vor drei Tagen geöffnete Cola. "Eine Entschuldigung sollte ehrlich und empathisch wirken und keinesfalls aufgesetzt oder erzwungen", sagt Berater MacConnell. Gerade Konzerne, die aufgrund immenser Marketing-Budgets in der Lage seien, aufwendige und teils ausufernde Social-Media-Kampagnen zu starten, würden oftmals sehr statisch und unbeholfen auf negative Wirbelstürme reagieren. Ein Beispiel dafür sei der Umgang des Senders Fox News mit dem Moderator Bill O'Reilly. Die Vorwürfe der sexuellen Belästigung, die O'Reilly noch immer bestreitet, sind nun wahrlich nicht neu, sie datieren bis ins Jahr 2002 zurück. O'Reilly gab sogar zu, dass er und der Sender mit einigen Frauen außergerichtliche Einigungen erzielt haben. Das sei kein Schuldgeständnis, betonte der Moderator stets, er wolle damit nur seine Familie vor einer öffentlichen Schlammschlacht schützen. Seine Fans hielten die Anschuldigungen für eine Verschwörung von rachsüchtigen Linken. Im Laufe der vergangenen Wochen gab es immer neue Enthüllungen, O'Reilly und der wegen mehrerer Fälle sexueller Belästigung ohnehin unter Druck geratene Sender reagierten zunächst mit der Salami-Taktik, der Berichte scheibchenweise bestätigt oder dementiert. Dem Sender wurde es dann doch zu viel, Moderator O'Reilly musste gehen.

Und natürlich gibt es dann noch Travis Kalanick, den Gründer des umstrittenen Fahrdienstes Uber. Der Dienst hat sich zuletzt eine ganze Reihe von Skandalen geleistet. Selbst nach einem Video, das Kalanick beim Streit mit einem Fahrer zeigte, gab es eine Entschuldigung, die aufgesetzt und halbherzig klang: "Ich muss mich als Anführer ändern und erwachsen werden. Zum ersten Mal gebe ich zu, dass ich Management-Hilfe brauche."

Es gibt keine Blaupause für den Umgang mit Skandalen in sozialen Medien, wohl aber Regeln. Ein Krisenmanager kann heutzutage für ein Unternehmen wertvoller sein als ein Werbe-Genie. "Wichtig ist, so schnell wie möglich zu reagieren. Es gibt heutzutage keinen 24-Stunden-News-Zyklus mehr, es läuft alles in Echtzeit ab", sagt McConnell. "Diese erste Reaktion ist bedeutsam, darauf sollten sich Unternehmen vorbereiten. Die erste Antwort gibt den Ton vor, sie muss sich mit der konkreten Situation auseinandersetzen und darf keine Floskeln enthalten. Eine prompte und womöglich teure Entschädigung dürfte sich langfristig auszahlen."

Wie das funktioniert, das zeigte nun die Fluglinie American Airlines. Ein Steward und ein Pilot haben sich ungebührlich gegenüber einer Mutter mit zwei Kindern verhalten, sie haben ihr einem im Internet veröffentlichten Video zufolge den Kinderwagen entrissen und dabei nur knapp ein Baby verfehlt. Die Reaktion des Unternehmens: eine knappe Entschuldigung, ein Rüffel für die Mitarbeiter und ein Upgrade für die Familie, die in der ersten Klasse von San Francisco nach Dallas fliegen durfte.

© SZ vom 25.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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