Konsum-Kathedralen:Geldausgeben leicht gemacht

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Deutschlands Innenstädte werden zunehmend von gigantischen Shopping-Centern in Beschlag genommen. Die setzen auf den Wohlfühlfaktor beim Kunden, doch der reguläre Einzelhandel leidet.

Heiko Reuter

Weder Szeneviertel noch Problembezirk: Poppenbüttel im Norden Hamburgs ist ein völlig unspektakulärer Stadtteil mit schmucken Eigenheimen und biederen Wohnblocks.

Die City-Galerie in Wolfsburg: 90 Geschäfte und Restaurants auf 20.000 Quadratmetern. (Foto: Foto: dpa)

Mitten in dieser kleinbürgerlichen Kulisse aber thront wie ein Monolith das riesige Alstertal-Einkaufszentrum (AEZ). Auf über 42.000 Quadratmetern Verkaufsfläche beherbergt der durchgestylte Konsumtempel 165 Fachgeschäfte, Dienstleistungsbetriebe, Warenhäuser und Restaurants - vom Frisör Klier über Galeria Kaufhof und der Esprit-Filiale bis hin zum CD-Shop für Liebhaber klassischer Musik.

Durchschnittlich 40.000 Menschen flanieren täglich durch die lichtdurchfluteten Hallen.

Im AEZ gibt es praktisch nichts, was es nicht gibt - und das auf drei Ebenen. Beim Geschenke-Shop Eins Zwei Drei sitzt sogar ein wetterfester Kunstharz-Buddha in Lebensgröße ("Für den Garten. Nur 79,95 Euro") im Schaufenster.

Marktplätze wie das AEZ oder das ebenso gigantische wie umstrittene Centro in Oberhausen haben Konjunktur. Denn während der reguläre Einzelhandel seit Jahren über stagnierende bis rückläufige Umsätze klagt, läuft das Geschäft in den Einkaufszentren wie geschmiert. 372 dieser Konsum-Kathedralen gibt es zurzeit in Deutschland - Tendenz weiter steigend.

"Der Boom wird anhalten"

"Die Erfolgsstory der Shopping-Center ist noch längst nicht zu Ende", prophezeit Bruno Groner, Handelsexperte beim Kölner EHI-Retail-Institute und Autor der soeben erschienenen Studie "Shopping-Center-Report": "Der Boom wird anhalten." Allein in den vergangenen beiden Jahren seien 20 Center eröffnet worden. Bis 2009 würden mehr als 60 neue Anlagen gebaut.

Die Innenstädte stehen dabei wieder im Mittelpunkt von großen Betreibern wie dem Marktführer ECE, einer Schwesterfirma der Otto Group, oder der Metro-Tochter Metro Group Asset Management.

Center auf der grünen Wiese, wie sie nach der Wende massenhaft in Ostdeutschland entstanden, sind heute kaum noch genehmigungsfähig: "Stadtplaner und Politiker wollen, dass die Kaufkraft in der City bleibt", erklärt Groner.

Breite Auswahl

Ausschlaggebend für den Erfolg der Shopping-Center ist in erster Linie die breite Auswahl an Waren und Dienstleistungen. "Durch diverse Geschäfte unter einem Dach bekommt der Kunde eine große Vielfalt", erklärt ein Sprecher des Kaffeerösters Tchibo, der in fast jedem größeren Center eine Filiale unterhält: "Das entspricht auch dem Tchibo-Prinzip."

Das sieht Ulrich Effing, Sprecher des Schuhfilialisten Deichmann, genauso: "Weitere namhafte Großflächenbetreiber sollten unbedingt mit im Center vertreten sein." Mit entscheidend ist auch der Center-Standort: "Wir wollen immer eine 1-A-Lage haben", heißt es bei der Bekleidungskette H&M.

Den Kunden wird das Geldausgeben so leicht wie möglich gemacht, während ein Center-Management über Ordnung, Sauberkeit und Sicherheit wacht: Im Kinderhort kann man den Nachwuchs für ein paar Stunden loswerden, an den Gratis-Schließfächern schweres Gepäck.

Hilfe für ältere Kunden

Jüngste - und kostenlose - Service-Offensive im AEZ: Uniformierte Begleiter helfen älteren Kunden beim Einkauf und schleppen die Tüten zum Auto. Und: Es gibt viele, oft kostengünstige Parkplätze. "Kunden, die mit dem Auto kommen, geben mehr Geld aus", weiß ECE-Geschäftsführer Stephan Kugel.

Beim Kampf um die Käufer sitzen Center-Betreiber und Ladenmieter in einem Boot: Die Finanzierung gemeinsamer Werbe- und Marketingaktivitäten ist schon im Mietvertrag festgeschrieben. Jeder gewerbliche Mieter entrichtet eine Werbepauschale, aus dem Topf werden dann Anzeigen, Plakate und Radiowerbung bezahlt. "Leider entwickeln sich Werbepauschale und Nebenkosten immer mehr zu einer zweiten Miete", moniert Deichmann-Sprecher Effing.

Doch bei professionellem Vorgehen sei das gemeinsame, einheitliche Marketing ein "zentraler Wettbewerbsvorteil", sagt Marco Atzberger, Leiter der Auftragsforschung beim EHI: "Mit der richtigen Langfrist-Strategie für die Standortbewerbung lässt sich das Einkaufsverhalten der Menschen ändern."

Die Etats, die bis zu siebenstellige Höhen erreichen können, landen oft bei kleineren oder regional agierenden Werbeagenturen. Einzelne von ECE betriebene Center kooperieren zum Beispiel in Hamburg mit Curtius Lütten, Economia und Johannsen Hüttner Kersting, in Berlin mit Jasper Stawicki und in München mit der Werbeagentur Beckmann.

Die zur Edeka gehörende Betreibergesellschaft CEV setzt in Dresden beispielsweise auf die Agentur Alexander + Partner; Modenschauen lässt sie vom Mode-Team Dresden arrangieren. Andere Center favorisieren dagegen Inhouse-Lösungen.

Längst nicht mehr nur Abverkaufsplätze

Shopping-Center sind längst mehr als nur reine Abverkaufsplätze. Sie haben sich zu Veranstaltungsorten für Modenschauen, Autopräsentationen, Kunstausstellungen oder Konzerte entwickelt.

Das Potsdamer Stern-Center beispielsweise diente gar als Austragungsstätte für einen internationalen Stabhochspringer-Wettkampf. "Shopping-Malls sind heute Erlebniszentren", erklärt ECE-Manager Kugel: "So was bindet Kunden."

Der Boom der Shopping-Center geht allerdings zu Lasten des regulären Einzelhandels. "Unternehmen in Einkaufszentren haben eine überdurchschnittliche Umsatzentwicklung, während die umliegenden Geschäfte oft erhebliche Einbußen verkraften müssen", bestätigt Olaf Roik, Standortexperte beim Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HdE).

Gestiegene Umsätze

68 Prozent der Betriebe in Shopping-Centern berichteten laut dem Verband im zweiten Halbjahr vergangenen Jahres über gestiegene oder konstant gebliebene Umsätze.

Mehr als die Hälfte der Geschäfte in innerstädtischen Nebenlagen sahen sich dagegen mit einer rückläufigen Geschäftsentwicklung konfrontiert. "Die Produktivität im Handel sinkt, gleichzeitig gibt es immer mehr Verkaufsfläche", klagt Roik. Bei den Shopping-Centern ist es anders - da wächst beides.

Mit ihrer Erfolgsgeschichte sind die teutonischen Konsumtempel mittlerweile in den Fokus ausländischer Investoren gerückt. Im Mai übernahm die britische Immobiliengesellschaft Prime Commercial Properties von der Sparkassen-Tochter Deka Immobilien das Allee-Center und das Nova Eventis in Leipzig - zum stolzen Preis von 390 Millionen Euro.

3000 Meter Schaufensterfront

Eines der größten Einkaufszentren in Deutschland mit 76.000 Quadratmetern Verkaufsfläche ist das früher als Saale-Park bekannte Nova Eventis. Bis zum Herbst kommenden Jahres wird die Anlage komplett umgestaltet. Mehr als 200 Geschäfte mit 3000 Metern Schaufensterfront zeigen nach Fertigstellung in zwei parallel verlaufenden, glasüberdachten Shopping-Malls "Alles zum Leben".

Derweil wird auch in Poppenbüttel kräftig gebaut. Der Betreiber ECE lässt das Alstertal-Center um 17.000 Quadratmeter vergrößern. Für 125 Millionen Euro entsteht Platz für 80 weitere Shops. Im Oktober sollen die Handwerker wieder abrücken. Die neuen Geschäfte sind schon alle vermietet.

Das laut dem EHI-Retail-Institute ambitionierteste Shopping-Center-Projekt Deutschlands aber entsteht im Herzen der Essener Innenstadt.

Riesen-Projekt in Essen

Karstadt Quelle, die ECE und die Deutsche Immobilien Fonds AG, eine Tochter der Union Investment, ziehen dort das Einkaufszentrum Limbecker Platz hoch. Auf mehr als 70.000 Quadratmetern soll es ab 2009 über 200 Shops beherbergen. Die umliegenden Einzelhändler müssen sich warm anziehen.

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