Konjunktureinbruch:Die dritte Phase der Krise

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Keine Großdemos, keine Geiselnahmen: Noch ist alles friedlich in Deutschland. Doch wenn die Krise in die nächste Runde geht, wird es mit der Ruhe bald vorbei sein.

Guido Bohsem

Die Wirtschaftskrise und ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit stehen in einem merkwürdigen Widerspruch. Immer tiefer weisen die Konjunkturdaten nach unten, immer finsterer fallen die Prognosen aus.

Eine hohe Inflation schadet vor allem den Empfängern von Sozialleistungen. Ihre Bezüge sind weniger wert als vorher. (Foto: Foto: dpa)

Die Deutschen aber bleiben gelassen. Es gibt keine Massendemonstrationen, Arbeiter nehmen nicht wie in Frankreich die Manager ihrer Firmen zu Geiseln. Trotz aller Sorgen wähnen sich die Bundesbürger recht sicher, was auch am dicht gewobenen Sozialnetz liegt. Zeltstädte, die in den USA die Krisenopfer aufnehmen, gibt es hierzulande nicht.

Mit der Ruhe wird es bald vorbei sein. Denn die Krise erreicht in den kommenden Monaten ihre dritte Phase: Die sozialen Sicherungssysteme geraten ins Wanken. Das wird die Menschen stärker erschüttern als zuvor die Finanz- und die Wirtschaftskrise.

Bewusstes Verschweigen

Alte, Pflegebedürftige und Kranke werden dann die Rechnung begleichen müssen, vor der sich die Banken gedrückt haben. Dass es so weit kommt, dürfte jedem Politiker klar sein. Dass die dräuende Sozialstaatskrise Reformen notwendig machen wird, ebenfalls. Und obwohl die drohende Krise die kommende Legislaturperiode prägen wird, spielt sie bislang eine untergeordnete Rolle im beginnenden Wahlkampf. Das darf man fahrlässig nennen, man kann aber auch von bewusstem Verschweigen sprechen.

Es sind im Wesentlichen drei Faktoren, die die sozialen Sicherungssysteme unter massiven Druck setzen werden: die steigende Arbeitslosigkeit, die Inflation und die demographische Entwicklung. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Zahl der Menschen ohne Job durch die Krise auf fünf oder sogar sechs Millionen steigt. Das ist der Kern des Problems. Eine hohe Arbeitslosigkeit zersetzt die Sozialsysteme an der Wurzel, sie trocknet sie buchstäblich aus.

Anfang des Jahrtausends zwang das Heer der Joblosen die rot-grüne Regierung zu Zuschüssen an die Rentenversicherung. Es zog ein Defizit in der Pflegeversicherung, Sparrunden im Gesundheitssystem und die Praxisgebühr nach sich. Es trieb die Sozialbeiträge in die Höhe und belastete Arbeitnehmer und Betriebe. Das alles geschah in einer Zeit, in der die Wirtschaft lediglich stagnierte. Jetzt aber droht ein Minus, das zwischen vier und fünf Prozent liegt. Noch dämpft die Kurzarbeiterregelung den Anstieg der Arbeitslosigkeit. Doch die Krise könnte länger dauern, als die Regierung Kurzarbeit finanzieren kann und sollte.

Am schnellsten beeinträchtigt die hohe Arbeitslosigkeit die Pflegeversicherung, deren Finanzgrundlage ohnehin wackelig ist. Zeitverzögert wird sie auch die Kassen des Gesundheitssystems treffen. Derzeit garantiert der Gesundheitsfonds, dass es trotz Krise keine Finanzprobleme gibt. Schließlich übernimmt der Bund die Ausfälle, die durch die Arbeitslosigkeit entstehen; im Jahr 2011 jedoch müssen die Kassen das Geld zurückzahlen. Ist die Arbeitslosigkeit dann weiter hoch, wird die Lage dramatisch. Um ein Überleben des Systems zu sichern, sind Sparrunden und Zusatzbeiträge notwendig, wobei Letztere die Beschäftigten erneut belasten.

Auch die Altersversorgung steht vor einem Stresstest. Die bereits beschlossene Erhöhung der Renten im Juli wird die vorerst letzte sein. Stattdessen drohen neue Nullrunden. Denn die steigende Arbeitslosigkeit begrenzt den Anstieg der Rentenzahlungen. 2011 sollen zudem die Schritte nachgeholt werden, deren Aussetzen das jüngste Renten-Plus erst möglich gemacht haben.

Kosten für Sozialsystem wachsen

Verschärft wird die Lage durch eine drastische Geldentwertung. Sie ist eine Folge der Krise und der Rettungsaktionen der Zentralbanken. Diese drücken gewaltige Geldmengen in die Wirtschaft, um kurzfristig eine Deflation zu verhindern, den Banken zu helfen und die Konjunktur anzukurbeln. Eine hohe Inflation schadet vor allem den Empfängern von Sozialleistungen.Ihre Bezüge sind weniger wert als vorher. Arme Rentner und arme Langzeitarbeitslose werden jetzt noch ärmer.

Die demographische Entwicklung verschlimmert die Lage. Der Alterungsprozess wird das nächste Jahrzehnt prägen. Das treibt die Kosten für die Rente, die Gesundheit und die Pflege in die Höhe und verschärft die Sozialstaatskrise, weshalb die Reformen der Vergangenheit nicht mehr genügen werden. Härtere Einschnitte werden notwendig sein, egal wer die neue Bundesregierung stellt.

Wie sich gezeigt hat, sind die Deutschen aber nur dann zu Reformen bereit, wenn ihre Notwendigkeit vorher klar und deutlich beschrieben und diskutiert wurde. Sie wollen überzeugt werden. Die Sozialdemokraten sollten das nach den Erfahrungen mit der Reformagenda 2010 am besten wissen. Gefährlich ist es deshalb, wenn die SPD an diesem Wochenende ihre Wahlvorschläge vorlegen will, aber nur am Rande auf die sozialen Sicherungssysteme eingeht. CDU und CSU machen es nicht besser.

Denn ihr Kernvorhaben für die nächsten vier Jahre scheint es zu sein, trotz der Rekordverschuldung im Haushalt die Steuern zu senken. Noch ist es nicht zu spät, eine Debatte über die Sozialsysteme zu führen. Wer die dritte Phase der Krise jedoch verschweigt, hat den Kampf gegen sie schon verloren.

© SZ vom 15.04.2009/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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