Kommentar:Zeitenwende in Frankfurt

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Von Karl-Heinz Büschemann

Deutschland muss sich wandeln, verlangen Politiker und Wirtschaftsvertreter. Doch wenn sich dann wirklich konkret etwas ändert, ist die Verblüffung groß.

So spielen sich gerade erstaunliche Dinge bei der Deutschen Börse ab. In dem Dax-Unternehmen haben die Aktionäre den Vorstandsvorsitzenden Werner Seifert und im Endeffekt auch Aufsichtsratschef Rolf Breuer zu Fall gebracht.

So etwas gab es in Deutschland praktisch noch nie. Vordergründig geht es um die Unternehmensstrategie: Seifert wollte die Londoner Börse übernehmen.

Deutsche Mauschelei hat ausgedient

Große Aktionäre, darunter der britische Investment-Fonds TCI, zogen es vor, die Reserven des Unternehmens zu heben; sie liefen gegen Breuer und Seifert Sturm. Der Aufsichtsrat habe den Börsen-Vorstand nicht genug kontrolliert, klagten sie. Auf der Hauptversammlung am 25. Mai wollten die Fonds Breuer zu Fall bringen.

Dahinter steht aber noch mehr. Die Deutsche Börse befindet sich größtenteils in der Hand britischer und amerikanischer Fonds-Gesellschaften.

Die gelten in diesem Land seit der Anti-Kapitalismus-Rede des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering als Heuschrecken, die über Unternehmen herfallen, diese kahl fressen und dann zum nächsten Opfer weiterziehen. Die Fonds stellen sich gegen Breuer, der im Hauptberuf Aufsichtsratschef der Deutschen Bank ist und damit eine Symbolfigur für die alte Deutschland AG.

Die Zeiten, in denen Top-Manager zusammen mit den Vertretern von Kapital und Gewerkschaften in den Aufsichtsräten ihre Strategie weitgehend ungestört von den Aktionären durchziehen konnten, dürften nach den jüngsten Ereignissen endgültig vorbei sein.

Diese Praxis hatte in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass viele deutsche Unternehmen mangelhaft geführt waren und zu Übernahmekandidaten für cleverere Fonds wurden.

Breuer steht im Übrigen auch noch für einen anderen Aspekt deutscher Führungskultur. Als Ex-Chef der Bank wurde er zum Aufsichtsratschef. Das ist nicht verboten, verstößt aber gegen den Kodex der deutschen Corporate-Governance-Kommission und die Empfehlungen der EU.

Vorstands- und Aufsichtsratschef eines großen Unternehmens von ausländischen Aktionären zum Rücktritt gezwungen - das bedeutet eine Zeitenwende für die Deutschland AG.

Es muss nicht alles richtig sein, was die auf hohe Rendite wartenden ausländischen Investoren von den Unternehmen verlangen. Oft haben solche Gesellschaften als Eigentümer eine unrühmliche Rolle gespielt. Doch so oder so - die deutsche Mauschelei alter Tage hat ausgedient.

© SZ vom 10.05.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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