Kommentar:Überrollt von der Realität

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Mercedes will 8500 Arbeitsplätze streichen. Doch der Personalabbau war abzusehen.

Dagmar Deckstein

Vor kurzem noch feierten die deutschen Automobilhersteller sich und ihre neuen Modelle auf der Frankfurter Automobilmesse; jetzt kommen die harten Tatsachen Schlag auf Schlag.

In Wolfsburg und Stuttgart ringen die Manager den Beschäftigten immer neue Zugeständnisse ab. Der kleine Geländewagen von Volkswagen wird zwar in Deutschland gebaut, der Preis dafür ist aber der langsame Abschied vom luxuriösen VW-Haustarif.

Und bei Mercedes werden die Einschnitte in den Personalbestand wesentlich tiefer gehen, als bisher vermutet: Nicht 5000, sondern angeblich sogar 8500 überflüssige Arbeitsplätze schleppt das Unternehmen mit sich herum, das ohnehin von Qualitäts-, Kosten- und Absatzproblemen gebeutelt ist.

Prognose schon vor einem Jahr

Was erst einen Tag lang als Gerücht umherschwirrte, bestätigte sich dann nach der Aufsichtsratssitzung im fernen Detroit. Es erscheint zwar angesichts dieses Aderlasses beim Autobauer wie eine Petitesse, die Frage muss aber dennoch gestellt werden: Warum beharren Vorstand und Kontrollgremium auf ihrer turnusmäßigen Rotation des Tagungsorts, wenn sie so weitreichende Entscheidungen für den deutschen Standort treffen?

So ganz überraschend kommt die Zahl der Jobs, die jetzt auf dem Spiel stehen, allerdings nicht. Hatte doch die Unternehmensberatung McKinsey den Autobauer Mercedes vor ziemlich genau einem Jahr analysiert und den Personalüberhang auf 10.000 Mitarbeiter beziffert.

Da grenzt es schon an Ironie, dass der Konzern diese Analyse mit einem Beschäftigungssicherungsvertrag konterte, der 500 Millionen Euro sparen und der Belegschaft im Gegenzug sichere Arbeitsplätze bis 2012 garantieren sollte. Dieser Vertrag, den der damalige Mercedes-Chef Jürgen Hubbert und der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Erich Klemm unterschrieben hatten, gilt zwar weiter, kann aber die Strukturprobleme nicht lösen, die auf der Mercedes-Car-Group lasten. Es mag keine betriebsbedingten Kündigungen geben, der Arbeitsplatzabbau findet trotzdem statt.

Roboter ersetzen Arbeiter

In den vergangenen zehn Jahren ist Mercedes sehr schnell gewachsen und hat den Autoabsatz auf 1,2 Millionen Fahrzeuge mehr als verdoppelt. Auf die Zuwächse reagierte Mercedes stets mit Neueinstellungen. Mittlerweile aber wurde die Produktion effizienter, immer mehr Roboter stehen in den Fabrikhallen.

Solange sich die Anzahl der verkauften Autos nicht weiter steigern lässt, wächst so der Personalüberhang. Aber im gesättigten Automarkt, auf dem sich die Hersteller nur noch gegenseitig Anteile abjagen können, auf dem sie sich sogar mit ihren Nischenmodellen unterm eigenen Markenzeichen selbst Konkurrenz machen, ist die Verringerung der Belegschaft unumgänglich.

Das war dem heutigen VW-Sanierer und Beinahe-Mercedes-Chef Wolfgang Bernhard schon früh klar. Seine unbarmherzigen Analysen wollte damals bei DaimlerChrysler aber keiner hören. Jetzt muss der neue Mercedes-Boss und baldige Konzernlenker Dieter Zetsche die Konsequenzen ziehen.

© SZ vom 29.09.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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