Kommentar:Uber-bewertet

Lesezeit: 2 min

Amerikanische Kapitalmarktexperten jubeln: Börsenkandidaten aus dem Technologiesektor könnten gigantische Bewertungen erhalten. Zu Unrecht - die Investoren haben jedes Gefühl für Maß verloren.

Von Victor Gojdka

Andächtig raunten sich die Händler an der Wall Street diese Woche Milliardensummen zu. Der Markt für Börsengänge könnte richtig in Gang kommen, jubilierten Kapitalmarktexperten. Der Anlass für so viel Aufsehen waren Berechnungen, die Investmentbanken verbreitet hatten: Mögliche Börsenkandidaten aus dem Technologiesektor könnten gigantische Bewertungen erhalten.

Bei einem Gang aufs Parkett könnte der US-Fahrdienstvermittler Lyft 15 Milliarden Dollar auf die Waage bringen, der Softwaredienstleister Palantir mit 41 Milliarden bewertet werden, das Taxi-Start-up Uber gar mit 120 Milliarden Dollar. Die Zahlen sollen Anlegern suggerieren, dass sie es mit Giganten zu tun haben. In Wahrheit zeigen die Zahlen aber nur eines: Dass die Techinvestoren jedes Gefühl für Maß und Mitte verloren haben.

Ein Blick auf Uber legt offen, wie viel Luft in den Bewertungen steckt und wie wenig Substanz. Im August noch taxierte Toyota das amerikanische Tech-Unternehmen auf 76 Milliarden Dollar, als es sich mit einer halben Milliarde daran beteiligte. Kaum anderthalb Monate später soll Uber nach Rechnung der Investmentbanken nun die Hälfte mehr wert sein. Mit fundamentalen Entwicklungen im Unternehmen ist das nicht zu erklären.

Die meisten Newcomer haben keinen einzigen Dollar Gewinn gemacht

Denn Uber macht aktuell keinen einzigen Euro Gewinn, sondern verbrennt vielmehr Geld wie ein heißer Ofen. Im zweiten Quartal verbuchte Uber einen Verlust von 891 Millionen Dollar, obwohl das Portal inzwischen stattliche 41 Prozent mehr Buchungen erhält als noch im vergangenen Jahr. Glaubt man den Bewertungen der Investmentbanken, soll Uber mehr wert sein als die Autobauer General Motors, Ford und Fiat Chrysler. Wohlgemerkt, alle drei zusammengenommen. Wie Uber seine rollenden Räder in rollende Rubel verwandeln will, scheint jedoch nicht einmal seiner Führungsetage klar zu sein.

Irgendwann einmal will man massenhaft selbstfahrende Taxis auf die Straßen bringen, darauf hoffen Management und Anleger. Doch die ganze Kalkulationsgrundlage des Unternehmens würde sich tief greifend verändern, wenn es Autos künftig nicht nur vermitteln würde, sondern zuvor einen eigenen Fuhrpark zusammenkaufen müsste. Statt solche Entwicklungen also gründlich unter die Lupe zu nehmen und kritische Fragen zu stellen, geht es an den Technologiebörsen momentan zu wie in einer Fernsehsendung mit Kai Pflaume: Wer bietet mehr?

Diese aufgeblasenen Bewertungen haben inzwischen Methode: Uber-Konkurrent Lyft legt seine Zahlen zwar nicht offen, dürfte Analysten zufolge aber ebenfalls Geld verbrennen. Insgesamt 81 Prozent aller Tech-Börsengänge aus diesem Jahr haben in den vorangehenden zwölf Monaten keinen einzigen Dollar Gewinn gemacht, warnte kürzlich der amerikanische Finanzprofessor Jay Ritter. Wer sich als Anleger an solchen Börsengängen beteiligen will, muss es als das bezeichnen, was es ist: eine riskante Wette.

Wer nun argumentiert, die meisten Börsenkandidaten aus dem Techsektor seien heute immerhin reifer und älter als zu Zeiten der Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende, der leidet unter einer erstaunlichen Halsstarre. Ja, die Bilanz ist richtig, solange man auf amerikanische Unternehmen schaut. Wer seinen Kopf allerdings in Richtung Osten wendet, dem dürfte schwindlig werden. Aus China streben aktuell Dutzende Techunternehmen an die weltweiten Börsen. Meist können sie weder schwarze Zahlen vorweisen, noch eine ausreichend lange Historie.

Das fällt umso mehr ins Gewicht, als der Gegenwind für den Techsektor insgesamt stärker wird: Allein enttäuschende Nutzerzahlen bei Netflix und Twitter reichten im Sommer aus, um Milliarden Dollar Börsenwert auf einen Schlag auszuradieren. Auch die wieder aufflammenden Zinsängste an den Weltbörsen in der vorvergangenen Woche zeigten, dass die amerikanische Notenbank mit ihren Zinsschritten im Zweifel nur ein bisschen pusten muss. Für die Techaktien entwickelt sich daraus ein Wirbelsturm, aus riskanten Titeln fliehen die Anleger schließlich als erstes.

Die Investmentbanken, die die Milliardenbewertungen der potenziellen Börsenkandidaten in den Vereinigten Staaten gestreut haben, braucht all das nicht zu interessieren. Wenn sie Unternehmen an die Börse begleiten, richtet sich ihre Entlohnung auch nach dem Gesamtgewicht des Unternehmens. Frei nach der Daumenregel: je mehr, desto besser. Wie sich die Aktie langfristig entwickelt, kümmert sie nicht. Ob Anleger damit Schiffbruch erleiden, schon gar nicht.

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: