Kommentar:Schwindendes Wachstum

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Die deutsche Wirtschaft ist 2003 erstmals seit zehn Jahren geschrumpft. Das scheint negative Erwartungen zu bestätigen, ist aber bei langfristiger Betrachtung nicht ungewöhnlich.

Von Helga Einecke

Seit den sechziger Jahren hat die deutsche Wirtschaft in jeder Dekade genau einmal ein sehr schwaches Jahr erlebt. Nun rechnen alle mit dem Aufschwung - Wirtschaftsforscher, Börsianer und natürlich Politiker. Allein die fünf Arbeitstage, die das Schaltjahr 2004 bietet, werden das Bruttoinlandsprodukt steigern.

Zu denken gibt aber der langfristige Wachstumsschwund. So ging es zu Zeiten des Wirtschaftswunders in Schüben von sechs Prozent bis acht Prozent nach oben. Die siebziger und achtziger Jahre brachten noch Steigerungen von zwei Prozent bis drei Prozent.

In den letzten zehn Jahren aber legte die deutsche Wirtschaft im Durchschnitt ganze 1,4 Prozent zu. Die Wachstumsbremsen sind bekannt: die Folgen der Wiedervereinigung, der Reformstau am Arbeitsmarkt und bei den Sozial- und Steuersystemen.

Verlässliche Wachstumsstütze

Zum Glück hat sich der Export als verlässliche Wachstumsstütze erwiesen; er hat die Deutschen vor Schlimmerem bewahrt. Der Außenhandel machte bei einer starken weltweiten Nachfrage die Schwäche des deutschen Binnenmarkt wett.

Aber damit könnte es 2004 vorbei sein. Erste Signale für sinkende Exporte gibt es bereits. Die Stärke des Euro erschwert die Lieferungen an den zweitbesten deutschen Kunden, Amerika. Sollte sich dieser Trend verfestigen, muss der Aufschwung aus dem Inland kommen.

Der Bundeskanzler hat den Bürgern zum Jahreswechsel bereits nahe gelegt, über den Konsum die Konjunktur zu stützen. Die Menschen in Deutschland legen aus ihrem verfügbaren Einkommen mehr Geld zurück. Das ist verständlich, weil die Bürger nicht nur die Wirtschaft ankurbeln, sondern auch für ihr Alter vorsorgen sollen.

Sparquote vor zehn Jahren höher

Von einem Angstsparen kann aber keine Rede sein. Anfang der neunziger Jahre etwa lag die Sparquote, also der zurückgelegte Anteil am Gesamteinkommen, erheblich höher.

Mehr noch als auf die Verbraucher kommt es auf die Unternehmer an. Anders als der Konsum gingen die Investitionen mehrere Jahre in Folge zurück und sorgten auch für einen weiteren Abbau der Beschäftigung.

Produktionsverlagerungen ins Ausland, starker Wettbewerb mit Billiglohnländern in Osteuropa und zu geringe Anreize für den Investitionsstandort Deutschland verbergen sich hinter dieser Entwicklung.

Der Staat fällt als Ersatzinvestor aus. Er hat in guten Zeiten nichts gespart, was er in schlechten Zeiten ausgeben könnte.

© SZ vom 16.01.03 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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