Demnächst soll eine Krise befriedet werden, deren Ende im Grunde genommen nicht abzusehen ist. Das dritte Kreditprogramm für Griechenland läuft aus; und obwohl längst nicht alle Reformen umgesetzt sind in dem dramatisch verschuldeten Land, so sind sich Gläubiger und Schuldner doch in einem Punkt einig - dass sie kein viertes Kreditprogramm wollen. Athen soll entlassen werden in die Freiheit. Offen ist freilich die Frage, wie groß die Freiheit sein darf, damit erstens die beruhigte Krise nicht wieder akut ausbricht und zweitens die Steuerzahler der Gläubigerländer, darunter Deutschland, das geliehene Geld zurückbekommen.
Eine entscheidende Rolle bei der Antwort fällt dem neuen Bundesfinanzminister zu. In den langen Jahren der griechischen Krise seit 2010 schrieben mit Angela Merkel und Wolfgang Schäuble zwei Unionspolitiker das Drehbuch für den Umgang mit Athen. Beide waren nicht zimperlich. Merkel forderte, chronischen Defizitländern wie Griechenland das Stimmrecht im Rat zu entziehen. Schäuble gab den Sparmeister. Jetzt steht mit Olaf Scholz ein Sozialdemokrat, also einer aus jener Partei, die Griechenland fairer behandeln will, als Bundesfinanzminister vor dem Praxistest: Athen fordert volle Souveränität und Schuldenerleichterungen in Milliardenhöhe. Werden diese Wünsche von dem SPD-Minister erfüllt?
Scholz hat bislang nicht zu erkennen gegeben, wie er die Angelegenheit zu regeln gedenkt. Die Zurückhaltung ist berechtigt. Der Bundesfinanzminister steht vor einer heiklen Aufgabe. Als kommissarischer Parteivorsitzender muss er den Wunsch der Sozialdemokraten respektieren, sich mit einer gerechteren Griechenlandpolitik von der Union abzugrenzen. Gerade jetzt steht er unter besonderer Beobachtung. Ende April findet ein Sonderparteitag der SPD statt, dort soll er sein Amt an Andrea Nahles übergeben. Zu Recht schaut auch der Koalitionspartner genau hin. Die Union achtet akribisch darauf, ob Scholz Zugeständnisse macht, die deutsches Steuergeld kosten.
Der SPD-Politiker steht vor dem Praxistest: Wird er Athens Wünsche erfüllen?
Scholz könnte es sich einfach machen und deutsche gegen griechische Interessen abwägen. Das deutsche Interesse, das Geld der Steuerzahler zu retten, würde gewichtet gegen den griechischen Wunsch, den von mehreren Generationen abzuzahlenden Schuldenberg zu verringern. Die Antwort eines deutschen Finanzministers wäre klar. Nur, so einfach ist die Sache nicht. Der Maßstab, der zählt, ist nicht das nationale Interesse, sondern das europäische: Griechenland muss so entlassen werden in die Freiheit, dass die Währungsunion stabil und der Euro sicher bleibt.
Abgewogen werden müssen also andere Dinge: Soll es großzügige Schuldenerleichterungen geben, um sicherzustellen, dass die Schulden von mehr als 300 Milliarden Euro das aufkeimende Wirtschaftswachstum nicht erdrücken? Soll Athen ohne weitere Auflagen aus dem Programm entlassen werden? Schließlich: Soll der Internationale Währungsfonds jetzt kurz vor dem Ende noch einen Kredit geben, obwohl der teurer ist als die Kredite der Euro-Länder und sowieso noch mehr als genug Geld im Kredittopf ist?
Niemand zweifelt daran, dass es falsch wäre, Athen in die volle Freiheit zu entlassen. Die Bürger der anderen Euro-Staaten haben dem Land riesiges Vertrauen entgegengebracht, in dem sie für die Kredite gebürgt haben. Sie haben ein Recht darauf, das Geld zurück zu erhalten. Auch daraus ergibt sich die Aufgabe an die griechische Regierung, das Land weiter zu modernisieren. Die Gläubiger müssen Athen also unter Beobachtung halten. Sie können das Land solange nur in eine begrenzte Freiheit entlassen, bis die Schuldenrückzahlung erledigt ist.
Hier kommt der Internationale Währungsfonds ins Spiel. Rein von den finanziellen und technischen Möglichkeiten her könnten die Europäer auf den Fonds aus Washington locker verzichten und Griechenland zu einer innereuropäischen Angelegenheit erklären. Damit verzichteten sie allerdings auch auf etwas, was sie nicht haben: die unabhängige Expertise des Fonds, der so gut wie alle Kredite stets zurückgezahlt bekommen hat.
Gerade da kommt Scholz an einer bitteren Wahrheit ohnehin nicht vorbei. Es ist unrealistisch zu erwarten, dass Athen über 60 Jahre mehr als 300 Milliarden Euro abstottern wird. Er kann jetzt zweierlei tun: pragmatisch einer Schuldenerleichterung zustimmen wie dem Vorschlag, die Zinsen über die Laufzeiten festzuschreiben. Oder aber auf Zeit zu spielen und größere Zugeständnisse verweigern. Ersteres wäre neu. Im zweiten Fall gäbe Scholz den Schäuble.