Kommentar:Reisen - eine Ware wie jede andere

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Krise und Terror führen dazu, dass die Deutschen ihr Verhältnis zum Urlaub normalisieren: Wenn gespart werden muss, spart man mittlerweile auch beim ehedem liebsten Kind.

Von Sibylle Haas

Nicht das Auto, der Urlaub war der Deutschen liebstes Kind. Ob gute oder schlechte Zeiten - für die Ferien war immer Geld da. Bis jetzt. Die derzeitige Wirtschaftskrise ist die erste, die die Manager der Touristik-Konzerne wirklich in ihren Bilanzen sehen können.

Sommerliches Reiseziel: Badestrand im Sommer. (Foto: Foto: dpa)

Terror, Krieg, ansteckende Krankheiten und schlechte Konjunktur haben das Geschäft mit dem Tourismus radikal verändert. Wie sehr der globalisierte Terror auch zu einer unberechenbaren ökonomischen Bedrohung geworden ist, zeigen die Reaktionen auf die jüngsten Bombenanschläge in Madrid: Die Börsenkurse sämtlicher Touristik-Aktien sackten sofort ab.

Die Deutschen sind beim Reisen vorsichtig geworden. Die Konsumverweigerung trifft damit einen Wirtschaftszweig, der bislang sämtliche Krisen ohne Schaden überstanden hat: die Ölkrise Anfang der siebziger Jahre, den Golfkrieg 1991, Naturkatastrophen und sogar die Entführung von Touristen.

Stetig nach oben

Nichts von alledem hat den Tourismus nachhaltig belasten können. Seitdem Anfang der sechziger Jahre der Urlaub zum Industrieprodukt standardisiert worden war, gingen die Urlauberzahlen stetig nach oben. In den Nachkriegsjahren wurde die Ferienreise für viele sogar zu einer sozialen Errungenschaft. Sie galt als "schützenswertes Gut", war in der Bewertung nahezu gleichrangig mit Gesundheit und Bildung.

Aus heutiger Sicht mag das seltsam sein, doch die Westdeutschen sehnten sich nach dem Krieg nach einer heilen Welt und vielleicht auch nach ein bisschen Exotik. Für die jahrzehntelang im Osten eingesperrten Menschen erfüllte sich nach dem Mauerfall mit der Reise-Freiheit ein sehnlicher Wunsch.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum die Urlaubsreise bei den Deutschen einen so hohen Stellenwert hatte. Wer sparen musste, fuhr sein Auto, bis es auseinander fiel, trug den Mantel einen weiteren Winter und verschob die Anschaffung eines neuen Möbelstücks auf das nächste oder übernächste Jahr. Auf den Urlaub wurde nicht verzichtet.

Inzwischen ist die Urlaubsreise aber ein normales Konsumgut geworden. Sie ist zwar wichtig, aber wenn gespart werden muss, dann spart man auch hier.

Alles entscheidender Faktor

Überhaupt ist der Preis zum alles entscheidenden Faktor geworden. Das haben die Reiseveranstalter allerdings selbst verursacht. Jahr für Jahr haben sie Urlaubsreisen billiger gemacht und ihre Kunden entsprechend programmiert.

Das ging auch lange gut, weil die standardisierte Pauschalreise dem Gesetz der industriellen Massenproduktion gehorchte, die "Stückkosten" also durch die wachsende Mengen sanken. So konnten Preissenkungen an die Kunden weitergereicht werden.

Zuletzt aber sind die Unternehmen an die Grenzen dieses Mengenwachstums gestoßen, weil sie die Kosten nicht so schnell senken konnten wie die Preise. Die Erklärung dafür ist einfach: Pauschalreisen sind verderblich, sie sind termingebunden.

Je näher der Zeitpunkt für einen Abflug rückt, desto mehr wächst der Druck bei den Veranstaltern, die Reise irgendwie noch loszuwerden. Viel Geld geht verloren, wenn Hotelzimmer und Flugsitze leer bleiben. Oftmals werden die Arrangements dann zum halben Preis verramscht.

Verluste

Im vergangenen Jahr, dem bislang für die Reisebranche härtesten, wurde fast jede dritte Pauschalreise so kurzfristig verkauft. Das hat den Unternehmen Verluste beschert. Entlassungen, Pleiten und drastische Sparkurse sind die Folge.

Da wundert es nicht, dass jetzt alles versucht wird, damit sich Urlaub wieder verkauft. Nun sollen Rabatte für frühes Buchen die Kunden in die Reisebüros holen. Viele reagieren vernünftig und nutzen dies. Der Rest wartet auf das Last-Minute-Angebot.

Diejenigen, die Preise ohne Abschläge zahlen, machen sich rar. Die Urlauber haben in der Krise nämlich eines gelernt: möglichst billig zu verreisen. Sie vergleichen die Preise beim Urlaub jetzt genauso wie bei anderen Gütern. Die Ferienreise ist eine Ware wie jede andere geworden.

© SZ vom 13.03.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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