Kommentar:Putins gewagtes Spiel

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Falls er "Spekulation und Hysterie" wirklich stoppen wollte, hat Russlands Präsident sich im Ton vertan: Dass Wladimir Putin jedes Gespräch mit den Führern der russischen Wirtschaft verweigert, wird diese kaum beruhigen.

Von Tomas Avenarius

(SZ vom 28.10.03) - Im Gegenteil - es wird sie noch stärker um Geld und Freiheit bangen lassen. Nachdem der Chef des größten Ölkonzerns hinter den rostigen Gittern des Moskauer Gefängnisses "Matrosenruhe" verschwunden ist, können andere Oligarchen nicht mehr ruhig schlafen.

Und die internationalen Investoren? Sie werden dreimal nachdenken, ehe sie frische Millionen auf russische Konten überweisen: Es gibt keine Rechts- und Investitionssicherheit in diesem Land.

Der Kremlchef hat zwar Recht: Vor dem Gesetz müssen alle gleich sein, "egal wie viele Millionen sie auf dem Konto haben".

"Kein einzelner Räuberkapitalist"

Wer betrügt, muss sich verantworten. Doch Putin weiß, dass es im Falle von Chodorkowskij nicht um einen einzelnen "Räuberkapitalisten" geht. In Russland haben alle Großkapitalisten ihr Geld auf nicht-legale Weise gemacht.

Das war der Deal bei der fragwürdigen Privatisierung unter dem ersten Präsidenten Boris Jelzin. Es war ein vom Staat vorgegebenes System, und das wurde das Fundament des russischen Kapitalismus. Wer dies zehn Jahre später in Frage stellen wollte, müsste alle Oligarchen vor den Kadi zwingen und ihre Unternehmen erneut verkaufen. Die Folgen für die aufstrebende Wirtschaft wären katastrophal.

Machtanspruch statt Stabilität

Obwohl Putin dies weiß, riskiert er fürs erste die Stabilität der Wirtschaft. Er und seine Hausmacht aus Geheimdienstoffizieren wollen sich die Macht nicht von politisch ambitionierten Oligarchen wie Chodorkowskij streitig machen lassen.

Das ist Putin eine Krise an den Märkten und Sorgenfalten in ausländischen Regierungszentralen allemal wert. Der Kremlchef weiß, dass Investoren und Regierungen auf Stabilität setzen, wenn sie nach Garantien für ihr Geld und ihre Politik fragen.

Der Rechtsstaat als solcher schlägt sich bei den kurzfristigen Sprüngen der Börse oder in den Dossiers der Regierungen selten als geldwerter Vorteil nieder - siehe das noch-immer-kommunistische Investorenparadies China.

Also macht der Machtzyniker Putin mit dem Einsatz der Justiz gegen den Oligarchen Chodorkowskij alles richtig? Eben nicht.

Wichtiger Dreiklang

Die langfristigen Reformen, die Russland braucht, sind eine Kombination aus demokratischer Politik, Rechtsstaatlichkeit und freier Wirtschaft. Solange Putin diesen Dreiklang nicht umsetzt, wird sein Russland da stecken bleiben, wo es unter den Sowjets festgefahren ist.

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