Kommentar:Profitieren statt verteufeln

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Statt hilflos über unwesentliche Probleme zu schwadronieren, sollte Franz Müntefering seine ureigenste Zielgruppe tatsächlich ernst nehmen. Allemal besser wäre es, das Kapital nicht nur zu verteufeln, sondern es stattdessen zur Finanzierung des Sozialstaates mit heranzuziehen.

Von Paul Katzenberger

Mit Kraftsprüchen versucht Franz Müntefering bei seiner Klientel ganz offensichtlich verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Das mag dem SPD-Chef vorübergehend vielleicht sogar gelingen. Doch längerfristig wird die Kritik an der "Macht des Kapitals" verpuffen. Denn von Worthülsen aus dem Munde jener Politiker, die gegen die derzeitige Wirtschaftskrise kläglich wenig unternommen haben, können die Opfer eben dieser Krise nicht abbeißen.

Müntefering hat ja durchaus recht: Die Veranstaltung Marktwirtschaft kann für einzelne Betroffene grausam sein. Daran zu erinnern, ist bei all der Neoklassik-Rhetorik, die derzeit im Trend liegt, gewiss kein Fehler.

Viel überzeugender wäre es allerdings, wenn die Regierung endlich auch mit sinnvollen Aktionen zu Gunsten ihrer Stammwähler statt nur mit Worten auffallen würde. Doch genau daran hapert es nun seit bald sieben Jahren.

Strammer Parteisoldat

Man erinnere sich: Es ist noch nicht lange her, da verwendete die SPD-geführte Bundesregierung millionenschwere Werbeetats, um mit verniedlichenden Schlagworten wie "Agenda 2010" die Menschen für dumm zu verkaufen. Wie auch in der Hartz-4-Diskussion gab Müntefering damals den strammen Parteisoldaten, der dem Volk den zusammengestrichenen Leistungskatalog der Sozialversicherungen als Aufbruch zu einer neuen Welt des - marktwirtschaftlichen - Wachstums verklickerte.

Auf den ersten Blick erschien dies zunächst auch plausibel. Denn dass die Marktwirtschaft das System der Wahl ist und daher nach den ihr eigenen Gesetzen reformiert werden muss, dürfte Müntefering trotz all seiner Kampfrhetorik nach wie vor einräumen. Die Opfer, die Rot-Grün den Deutschen wie wohl keine Bundesregierung zuvor zugemutet hat, wären dennoch nur dann zu rechtfertigen, wenn dadurch die aktuellen Probleme des Landes zumindest ansatzweise einer Lösung nähergebracht würden. Doch davon fehlt jede Spur.

Verwunderlich ist das nicht. Denn bis heute hat Müntefering nicht nachvollziehbar erklären können, warum denn durch die "Hartz IV"-Reformen die Arbeitslosigkeit sinken soll. Das wird der SPD-Chef auch kaum können, da das Kardinalproblem des Arbeitsmarktes durch "Hartz IV" nicht gelöst wurde. Schließlich ist die Arbeit seit dem 1. Januar 2005 keineswegs billiger geworden: Die Sozialversicherungsbeiträge wurden ja auch nicht den stark eingeschränkten Leistungen der Arbeitslosenversicherung nach unten hin angepasst.

Übergroße Belastung des Faktors Arbeit

So kritikwürdig das aggressive Gebahren der Investmentfonds oder die langfristig unrealistischen Renditerwartungen eines Josef Ackermann auch sind - die Hauptursache der deutschen Wirtschaftskrise stellen diese Vorgänge nicht dar. Ein viel graviererendes Problem manifestiert sich hingegen in der übergroßen Belastung des Faktors Arbeit, dem in Deutschland so gut wie alle Kosten des Sozialstaates aufgebürdet werden.

Statt hilflos über unwesentliche Probleme zu schwadronieren, täte der SPD-Chef gut daran, wirklich etwas für seine Zielgruppe der Arbeitnehmer zu tun. Anbieten würde sich beispielsweise, das Kapital nicht nur zu verteufeln, sondern zur Finanzierung des Sozialstaates endlich angemessen mit heranzuziehen.

© sueddeutsche.de vom 18.04.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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