Kommentar:Pflichtstoff für den Lehrplan

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Warum nur lernen Schüler nicht richtig, wie Wirtschaft und Finanzen funktionieren? Das muss sich ändern.

Von Jan Willmroth

Wer in Deutschland die Schule verlässt, ist relativ gut auf das Leben vorbereitet. Lesen, Schreiben, Rechnen, Hauptstädte und Bodenkunde, Antike bis Zweiter Weltkrieg, Goethe und Grass, Beethoven, van Gogh, Pythagoras und Parabeln, ein bisschen von allem, von manchem sehr viel. Von vielem aber zu wenig. Vor allem von grundlegendem Wissen über Finanzen, über die Wirkung von Zinsen, die Bedeutung von Steuern und den Sinn des Sparens. Lebenspraktische Dinge, die angesichts immer komplexerer wirtschaftlicher Zusammenhänge wichtiger geworden sind, sie kommen in der Schule noch immer zu kurz.

Das sollte man angesichts der aktuellen Debatte im Kopf haben. Sparen soll möglichst einfach sein, war es auch immer, Sparbuch, Lebensversicherungen, Festgeldkonten, alles einigermaßen gut verzinst. Es musste nicht interessieren, was mit dem Geld passiert, sobald es bei Banken und Versicherungen angekommen war. Die Zeit des einfachen Sparens aber ist vorbei, und deshalb häufen sich die Forderungen, Bürger mögen sich doch bitte selbst um ihre Finanzen kümmern, Depots eröffnen, Aktien und Fonds kaufen, Vermögensbildung selbst lernen.

Einerseits ist das sinnvoll. Die staatliche Altersvorsorge wird absehbar für große Teile der jüngeren Generationen nicht mehr reichen, um ihnen im Alter einen angemessenen Lebensstandard zu sichern. Das weiß man schon lange. Andererseits ist es ganz schön wohlfeil, gerade jetzt bei Null- und Negativzinsen von den Bürgern zu verlangen, sie mögen mehr privat vorsorgen. Wo sollen sie denn anfangen?

Darauf wissen viele keine Antwort. Der Mangel an finanzieller Allgemeinbildung ist hinreichend belegt, der privaten Vermögensbildung fehlt damit die Grundlage. Wenn man den Menschen in Deutschland drei supersimple Fragen zu Zinsen, Inflation und Risikostreuung stellt, kann mehr als die Hälfte mindestens eine davon nicht korrekt beantworten. Manche Schüler können schon mit Rechnungen nichts anfangen oder wissen nicht, dass sie einen Kredit aufnehmen, wenn sie ein Smartphone auf Raten kaufen. Nicht selten wissen sie nicht einmal, wie ein Kredit funktioniert.

Das sollte es nicht mehr geben. Finanzbildung schafft schon im Kindesalter die Voraussetzung für einen klugen Umgang mit Geld. Das ist wichtig für das private Wohlergehen, einerseits. Und es hat, andererseits, eine wichtige gesellschaftliche Dimension: Ein Großteil derer, die heute jung sind, wird viel Zeit in Rente verbringen, weil die Menschen älter werden. Wer soll ihren Lebensstandard erhalten außer ihnen selbst? Die staatliche Rente mag sich die Gesellschaft irgendwann nicht mehr leisten können, finanzielle Allgemeinbildung dagegen ist nicht teuer.

Aber sehr wertvoll. Ökonomen konnten zeigen, dass die Vermögensungleichheit in einer Gesellschaft teilweise auf einen Mangel an Finanzwissen zurückzuführen ist. Wer aus reichem Hause kommt, wird sehr wahrscheinlich schon früh im Leben einen Bezug zu Geld entwickeln. Kinder von Arbeitslosen und einfachen Angestellten haben es schwerer. Mehr Finanzbildung in der Schule erhöht die Chancengleichheit und schärft den Sinn für Vermögensbildung auch bei jenen, die noch nie Vermögen hatten.

Wer bewerten kann, was Bankberater vorschlagen, entscheidet klüger

Mehr Finanzwissen heißt außerdem: weniger Betrug, weniger Überschuldung, weniger schlechte Beratung. Wer bewerten kann, was der Bankberater vorschlägt, wer einschätzen kann, warum ein Zinsversprechen von acht Prozent ein extremes Risiko bedeutet, wer sich zurechtfindet mit all den tollen neuen Möglichkeiten, die der digitalisierte Finanzmarkt Privatanlegern bietet, trifft unabhängige und klügere Entscheidungen.

Fehlt nur noch eine gehörige Portion Leidenschaft, denn Aktienfonds und Anleihen eignen sich in Deutschland nicht gerade als Small-Talk-Thema. Partygäste reden eben lieber über die neuesten Kinofilme als über die Geldpolitik der EZB. Das muss sich nicht grundlegend ändern. Aber etwas weniger Abneigung gegen alles, was unter die Überschrift "Finanzen" passt, täte ganz gut. Auch das kann in der Schule geregelt werden, dazu wäre nicht einmal ein eigenes Schulfach nötig. Aber es braucht mehr als nur theoretisch-abstraktes Wissen über Wirtschaft, wie man es aus einschlägigen Wirtschafts- und Sozialkundefächern kennt. Praktische Kenntnisse, Begeisterung für Finanzen: Dafür muss in den Lehrplänen noch Platz sein.

© SZ vom 20.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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