Kommentar:Nur mit der Ruhe

Lesezeit: 2 min

Es geht hektisch auf und ab an den Börsen, das britische Pfund ist binnen weniger Minuten abgestürzt. Anleger sollten sich davon nicht beunruhigen lassen. Aus gutem Grund.

Von Andrea Rexer

Die dramatischen Minuten wird man auf einem Aktienchart noch in Jahren sehen können: Senkrecht stürzt die Kurslinie des britischen Pfunds am Freitagmorgen in die Tiefe, als die Börsen in Tokio öffnen. Die britische Währung verliert mehr als sechs Prozent, sie fällt auf den tiefsten Stand seit 31 Jahren. Nur wenige Minuten später steigt die Kurve genauso rasant wieder an und das Pfund holt die Verluste zum Teil wieder auf.

Natürlich sind solche Kursbewegungen aufsehenerregend. Doch es wäre falsch, wenn sich Anleger davon verunsichern ließen. Es zeigt vielmehr, dass Märkte aufgrund von computerbasierten Handelssystemen große Kursausschläge produzieren, die sich oft hinterher als Sturm im Wasserglas entpuppen. Das heftige Auf und Ab des Pfundes ist eine Spielart der gestiegenen Volatilität der Märkte, an die sich Anleger gewöhnen müssen.

Sie ist zum Teil getrieben durch die großen politischen Unsicherheiten, von denen der Brexit mit seinen völlig unklaren Auswirkungen auf Europa nur ein Element ist. Früher hat man in Zeiten hoher Unsicherheiten die Börsen einfach geschlossen: 1914 etwa, als der Erste Weltkrieg ausbrach, blieb die New Yorker Börse vier Monate zu. Ein Ding der Unmöglichkeit in der Finanzwelt von heute, in der schon eine Sekunde als Ewigkeit empfunden wird. Denn Finanztransaktionen werden mittlerweile in Bruchteilen von Sekunden durchgeführt. Und genau das ist neben politischen Unsicherheiten der zweite große Treiber der Volatilität: die Technik, die den Handel so viel schneller gemacht hat und damit heftige Ausschlägen überhaupt erst ermöglicht.

Privatanleger sollten sich von heftigen Kurssprüngen nicht beeindrucken lassen

Dieser computerunterstützte Handel erlaubt ganz andere Geschäftsmodelle. Früher haben Börsianer viel Geld gemacht, wenn sie Fundamentaldaten von Unternehmen oder Währungen besonders gut auswerten konnten. Heute hingegen ist der richtige Algorithmus entscheidend. Ein Beispiel dafür sind sogenannte Trendfolger. Diese Fonds sind programmiertes Herdenverhalten. Sie interessieren sich nicht für Nachrichten, sondern für Kursbewegungen, springen auf Trends auf und machen Gewinn, egal ob die Kurse fallen oder sinken. Durch diesen Nachahmeffekt können kleine Ereignisse, die eine kleine Bewegung verursachen, plötzlich große Folgen haben. Allein dadurch, dass sich heute keine Händler mehr Kurse zurufen müssen, sondern Computer schneller mehr Aufträge abarbeiten können, folgen die Ausschläge in viel kürzeren Zeitspannen.

Wie sehr sich das Wesen der Finanzmärkte gewandelt hat, zeigt ein Blick auf das Parkett der New Yorker Börse: In jenem Saal, der noch vor zwanzig Jahren vom Brüllen tausender Börsianer erfüllt war, herrscht heute Stille. Hier und da spricht ein Experte vor Fernsehkameras, abends spazieren die Besucher exklusiver Empfänge über das Parkett. Das eigentliche Börsengeschehen jedoch spielt sich inzwischen in dem unbekannten Städtchen Mahwah in New Jersey ab, dort hat die NYSE ein Computerzentrum errichtet, in dem Kauf- und Verkaufsaufträge elektronisch zusammengeführt werden.

Privatanleger können in diesem Spiel der Geschwindigkeiten nur bestehen, wenn sie langfristig denken. Sie wären ohnehin schlecht beraten, wenn sie durch kurzfristiges Zocken Gewinne machen wollten. Da sind die professionellen Spieler schlicht schneller. Wer jedoch einen ausreichend langen Anlagezeitraum wählt und seine Wertpapiere breit streut, der kann die kurzfristigen Kapriolen getrost ignorieren.

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: