Kommentar:Neue Konzepte, dringend

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Erst Lebensversicherer, jetzt Pensionskassen: Der Niedrigzins sorgt dafür, dass Deutschland die Luft ausgeht bei der Rente. Sparer sitzen auf zu vielen Forderungen. Die Anlage in Sachwerte muss gefördert werden. Andere Länder machen es vor.

Von Simone Boehringer

Erst Lebensversicherer, jetzt Pensionskassen. Die Niedrigzinsphase sorgt dafür, dass Deutschland die Luft ausgeht bei der Altersvorsorge. Es betrifft: alle Bürger, die nicht darüber hinaus vorsorgen (können) oder bereits von einer auskömmlichen Pension leben.

Mit der Absenkung der staatlichen Rente haben sich die meisten Menschen im Land wohl abgefunden. Seit gut drei Jahrzehnten sind sie und ihre Betriebe von der Politik darauf vorbereitet worden, dass sie selbst vorsorgen müssen; und viele haben dies auch gemacht: So gibt es nicht nur 90 Millionen Lebensversicherungspolicen im Land. Hinzu kommen 20 Millionen Anwartschaften auf Betriebsrenten und fast 17 Millionen Riester-Renten, also staatlich bezuschusste Zusatzverträge zur Kompensation sinkender Staatsrenten.

Deutschlands Sparer sitzen auf Forderungen - bei null Zinsen führt das in die Altersarmut

Auf solchen Verträgen ruhte zunehmend die Hoffnung der Deutschen. Doch nun wird deutlich: Die Policen und Verträge können immer seltener halten, was sie versprechen. Warum? Weil das System der Altersvorsorge zu sehr an den Zinsen ausgerichtet ist. Lebensversicherer, Renten- und Pensionsfonds sowie staatlich bezuschusste Vehikel zur Altersvorsorge sind streng reguliert. Um den Institutionen, aber auch den Sparern wenig Risiken aufzubürden, mussten und müssen die Anbieter einen Großteil der Mittel in sichere Anlangen stecken, dazu gehören vor allem Staatspapiere, Anleihen. Damit schlägt der Staat zwei Fliegen mit einer Klappe: Er sorgt für ausreichend Nachfrage nach diesen Papieren, die er ja selbst zur Finanzierung des Staatshaushaltes braucht, und er minimiert das Ausfallrisiko, da Staaten selten pleitegehen.

Lange ist das gut gegangen, ein auskömmliches Niveau von etwa vier Prozent pro Jahr war im Schnitt sicher zu erwirtschaften - genug, um den allgemeinen Preisauftrieb zu kompensieren und Sparern darüber hinaus ein ordentliches Zubrot zur staatlichen Rente zu erbringen.

Problem: Seit zehn Jahren sinken die Zinsen nur noch. So lag der Leitzins in Euroland zuletzt im September 2008, vor der Bankenkrise, bei erwähnten vier Prozent. Seitdem ging es rapide bergab, seit Sommer 2014 ist der Satz praktisch bei null.

Diese Situation ist für Schuldner gut, sie können damit mehr Vorhaben finanzieren. Sie ist aber schlecht für Gläubiger, und zu denen zählen die Deutschen mit ihrem Konzept der Altersvorsorge, zum Beispiel als Kunden von Lebensversicherungen, die gleichfalls schon sehr lange mit niedrigen Garantiezinsen für ihre Policen auskommen müssen; aktuell gelten für Neuverträge nurmehr 0,9 Prozent.

Zu den großen Gläubigern gehört auch die Bundesrepublik als Ganzes. Deutschland ist das größte Gläubigerland in der Euro-Rettung, in der Exportfinanzierung, bei der Europäischen Zentralbank. Das Land wie die Sparer sitzen überwiegend auf Forderungen, Forderungen an andere, die immer so viel wert sind, wie der Zins, der gerade auf sie bezahlt wird. Und die anderen? Kaufen sich davon etwa hiesige Produkte, weshalb die Bundesrepublik auch Exportweltmeister ist. Aber sie kaufen nicht nur Konsumgüter, Autos, Maschinen, Chemie- und Pharmaprodukte. Sie erwerben über ihre Pensionsfonds und anderen Kapitalsammelstellen auch deutsche Unternehmen und investieren damit in ihre eigene Altersvorsorge.

Und genau das machen Deutschland und seine Sparer zu wenig. Während Chinesen heute zehnmal so viele hiesige Technologiefirmen übernehmen wie vor zehn Jahren sowie auch sonst Rekordsummen hierzulande in Firmen und Know-how investieren, während amerikanische Vermögensverwalter wie Blackrock zwischen drei und sieben Prozent der Anteile an praktisch jedem Dax-Unternehmen anhäufen und ihre Kunden so an den Gewinnen beteiligen, diskutiert die Politik in Berlin nur ausführlich, wie das viele Geld im Rekordhaushalt verteilt wird.

Wie wäre es mit Anlegen? Um zinsunabhängige Reserven für den Bundeshaushalt zu schaffen. Oder um den Einstieg in eine kapitalgedeckte Altersvorsorge zu wagen, die schon so lange diskutiert wird. Man kann streiten, wie man es anstellt: Ob über einen Staatsfonds, der ähnlich wie in vielen Ländern weltweit in Aktien, Infrastruktur, Rohstoffe und andere Sachwerte investiert. Ob über eine Regulierung, die es Versicherern und anderen Anbietern erlaubt, für ihre Kunden stärker in zinsunabhängige Sachwerte zu investieren. Oder sogar über Steuererleichterungen und -anreize, die den Bürgern selbst mehr Spielraum zur Vorsorge geben.

Es gibt viele Ideen für ein zukunftsfähiges Vorsorgekonzept, nur mit Zinsen allein ist auf absehbare Zeit wenig zu erreichen. Außer wachsende Altersarmut.

© SZ vom 17.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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