Kommentar:Mut zur Ehrlichkeit

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Der Dauerstreit um die Abschaffung des Solidaritätszuschlags ist ein Beleg dafür, wie die Politik ihre Glaubwürdigkeit verlieren kann. Schluss damit!

Von Cerstin Gammelin

Aufgepasst: Sollten die Politik-Lehrbücher einmal aktualisiert werden, drängt sich ein aktuelles Possenspiel auf. Es ist der Streit um die Abschaffung des Solidaritätszuschlages - kurz Soli genannt. Es ist die irrste und wohl längste Auseinandersetzung zwischen Regierungsparteien, Bundesländern und Bürgern aus der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik. Sie dreht sich um 20 Milliarden Euro und ist ein Beleg dafür, wie Parteien an Glaubwürdigkeit verlieren, weil sie nicht mehr um die Sache, sondern im eigenen Interesse streiten. Und für die immensen Kosten, die der Föderalismus mit sich bringt.

Anders als angenommen, sind es weder Union noch SPD, die verhindern, dass der Soli-Zuschlag nun komplett abgeschafft werden kann. Ja, die Union will die Abgabe ersatzlos streichen. Und, ja, die SPD beharrt auf einer gerechten Gegenfinanzierung. Dazu kann man den Spitzensteuersatz erhöhen, wie es die Sozialdemokraten fordern. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass dies allein kaum ausreichen würde, um 20 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt zu spülen - also genau die Summe, die der Bund durch die Abschaffung verlöre. Selbst wenn die Sozialdemokraten die Union hypnotisieren und deren Zustimmung für einen höheren Spitzensteuersatz wie zu Helmut Kohls Zeiten - bis 1990 lag er bei 56 Prozent - erringen würden, wäre der Einnahmenausfall nur teilweise kompensiert.

Die neuesten Haushaltszahlen zeigen, dass es nicht genug finanziellen Spielraum gibt, um den Soli-Zuschlag abzuschaffen, ohne irgendwo anders zu sparen, Steuern zu erhöhen oder neue Schulden zu machen. Weil die schwarze Null aber bleiben soll, muss das fehlende Geld über Steuern oder Sparmaßnahmen erwirtschaftet werden. Und hier kommen die Bundesländer ins Spiel. Obwohl die Einnahmen aus dem Soli-Zuschlag nur in den Bundeshaushalt fließen, spielen die Länder eine entscheidende Rolle bei dessen Abschaffung.

Wie erfolgreich hört es sich an, wenn chronisch verschuldete Länder wie Berlin und Nordrhein-Westfalen jetzt jubeln, dass sie wieder Überschüsse haben und Schulden abbauen. Ordentlich gewirtschaftet, möchte man meinen. Das mag sein, ist aber keineswegs die ganze Wahrheit. Viele Bundesländer stehen blendend da, weil sie Geld vom Bund bekommen.

Die vielen Hilfen für die Länder haben den Bund seiner Handlungsfähigkeit beraubt

Die Länderfürsten haben den Bund derart angezapft, dass ihre Kassen überlaufen. Sie forderten Hilfen für die Flüchtlinge - und bekamen zwanzig Milliarden Euro. Sie wollen das Geld weiterhin, obwohl der Ansturm der Asylsuchenden vorüber ist. Sie fordern Geld für Infrastruktur, Schulen, Kitas, digitale Bildung oder Richterstellen - und immer macht der Bund mit. Die absurde Großzügigkeit hat zur Folge, dass der Bund sich der eigenen Handlungsfähigkeit beraubt hat. Seine Kasse ist leer.

Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung aufhört, die Länder derart zu subventionieren. Wenn sie endlich das Geld entsprechend der föderalen Aufgaben beisammenhält, kann sie selbst viel mehr leisten - und beispielsweise den Solidaritätszuschlag komplett abschaffen.

Zugleich stärkt sie die demokratischen Prozesse. Die Abgeordneten des Bundestages werden nämlich zu Marionetten degradiert, wenn die Bundesregierung das Geld des Bundes vorab so weit ausgibt, dass nichts mehr da ist, um im Bundestag wirkliche Politik machen zu können. Genau das wäre der Fall, wenn die Abgeordneten beschließen könnten, zu welchen Bedingungen der Soli abgeschafft wird.

Wie destruktiv die Rolle der Länder ist, sieht man daran, dass sie Geld vom Bund dazu verwenden, ihre Schulden zu tilgen. Parallel tragen sie in Berlin aber ihre großen Sorgen vor, dass sie nicht genug Mittel haben für Bildung und Digitales. Berlin muss Kitas und Schulen finanzieren, weil diese sonst verfallen würden. Diese Politik ist unehrlich und gehört abgestellt.

Will sie glaubwürdig bleiben, ist es höchste Zeit für die Koalition, die Debatte um den Soli zu beenden. Zur Ehrlichkeit gehört, dass die Abgabe beim Bürger mittlerweile verhasst ist. Es bleibt nichts übrig, als sie in dieser Form abzuschaffen. Vielleicht liest die Union bei Kohl nach, warum er es in den Neunzigerjahren gerecht fand, die Abgabe vom Einkommen abhängig zu machen. Womöglich findet sie ein Argument, um den von der SPD gewünschten höheren Spitzensteuersatz akzeptieren zu können. Die SPD kann dafür womöglich die Grundrente verschieben. Und den großen Rest des Geldes holen sich die Abgeordneten, in dem sie ihr Veto gegen weitere Zahlungen des Bundes an die Länder einlegen. Damit ist allen gedient.

© SZ vom 22.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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