Kommentar:Mehr Verständnis, mehr Offenheit

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Andrea Rexer kennt Menschen, die schwere Krankheiten überstanden haben und seitdem eine besondere Kraft ausstrahlen. (Foto: Bernd Schifferdecker)

Ob ein Manager offen über eine schwere Krankheit spricht, hängt nicht nur von der Persönlichkeit ab. Viel wichtiger ist die Unternehmenskultur.

Von Andrea Rexer

Es ist unendlich schwer, über eine lebensbedrohliche Krankheit zu sprechen. Das gilt schon für den engsten Kreis der Familie. Wie unendlich viel schwerer muss es sein, darüber in einem Unternehmen mit vielen Tausend Mitarbeitern offen zu reden? Manager, die in ihrer aktiven Berufslaufbahn schwere Krankheiten durchgemacht haben, schildern, dass sie Angst hatten, abgeschrieben zu werden. Dass sie Angst vor dem Mitleid hatten. Angst davor, nicht mehr ganz ernst genommen zu werden. Manche von ihnen entscheiden sich dazu, öffentlich darüber zu sprechen - wie etwa der inzwischen verstorbene KfW-Chef Ulrich Schröder. Für Sergio Marchionne war seine Krankheit ganz offensichtlich ein Tabu.

Sein Tod hat nicht nur Fiat erschüttert. Weltweit sorgte die Nachricht für große Anteilnahme. Nun hat das Krankenhaus, in dem er behandelt wurde, bekannt gegeben, dass der Tod des Managers nicht so plötzlich kam, wie es zunächst schien. Marchionne sei schon seit über einem Jahr wegen einer "schweren Krankheit" in Behandlung gewesen. Das Haus sah sich zu der ungewöhnlichen Stellungnahme gezwungen, weil Medien über die Todesursache des Fiat-Chefs wild spekulierten. Marchionne selbst hatte über seine Krankheit nie öffentlich gesprochen. Auch sein Arbeitgeber habe erst vergangene Woche davon erfahren, teilte die Familie mit.

Unternehmen, die Macht auf mehrere Manager verteilen, tun sich leichter

Nun ist eine Diskussion darüber entbrannt, ob es einen Punkt gibt, an dem ein Manager seinen Arbeitgeber über eine schwere Krankheit informieren muss - um dem Unternehmen nicht zu schaden. Die Frage ist schon aus praktischen Erwägungen müßig: Krankheitsverläufe sind unberechenbar. Es kann keinen von außen bestimmbaren Zeitpunkt geben, der eine solche Informationspflicht auslösen würde. Darin steckt aber auch eine moralische Frage, die ebenso eindeutig zu beantworten ist: Es darf keinen Punkt geben, an dem ein Manager verpflichtet ist, seine Privatsphäre zum Wohl eines Unternehmens aufzugeben. Wie viel er oder sie in einer solchen Situation preisgeben will, muss die freie Entscheidung des Einzelnen bleiben.

Natürlich ist es eine Frage des Persönlichkeitstyps, wie man mit Schicksalsschlägen umgeht. Der amerikanische Bankchef Jamie Dimon beispielsweise hat im Unternehmen seinen Therapieplan offengelegt, als er an Krebs erkrankte. Er gab die Führung nicht ab, aber das Unternehmen sorgte für Entlastung, bis Dimon nach der Genesung voll zurückkehren konnte. Auch Lloyd Blankfein, Chef der Investmentbank Goldman Sachs, sprach öffentlich über seine Krebserkrankung. In beiden Fällen entlasteten die Unternehmen ihre Manager, ohne ihnen den Job zu nehmen. Die Facebook-Managerin Sheryl Sandberg scheute sich nicht, offen im Berufsalltag Trauer zu zeigen, als ihr Mann plötzlich starb - und verarbeitete ihr Schicksal in einem sehr persönlichen Buch.

Ob ein Manager sich öffnen kann und will, ist aber nicht nur eine Frage des Persönlichkeitstyps - es ist auch eine Frage der Kultur. In einer Branche, in der es wichtig ist, dass Benzin durch die Adern fließt - und nicht Medikamente - ist es schwer, über einen Schicksalsschlag zu sprechen. Ein Unternehmen, das sich auf den einen starken Mann an der Spitze ausgerichtet hat, erlaubt diesem keine Schwächen und keine Fehler. Wenn sich jedoch die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt, ist es von vornherein leichter, einzelne zu entlasten - und sei es nur vorübergehend. Eine solche Organisation nimmt den Druck von den Managern, unersetzbar zu sein. Und ganz nebenbei ist es diese Unternehmenskultur, die auch in Zeiten der Digitalisierung erfolgreicher sein wird: Denn sie kann sich auf schnelle Veränderungen besser einstellen.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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