Kommentar:In Ruhe lassen statt  ruhigstellen

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Uwe Ritzer ist strikt dagegen, dass Wasser zur reinen Handelsware wird. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Spielzeughersteller rufen gerne Trends aus, um ihre Produkte zu verkaufen. Für Eltern und Kinder ist das stressig.

Von Uwe Ritzer

Die Organisatoren der anstehenden Spielwarenmesse in Nürnberg glauben, einen neuen Trend ausgemacht zu haben. Sie nennen ihn "Body and Mind" und meinen damit Spielzeug für das von Schule und (zu) vielen Freizeitaktivitäten gestresste Kind. Nun überdauern die von den Nürnberger Messe-Machern zu PR-Zwecken jährlich ausgerufenen Trends selten die Messe selbst. Ganz abgesehen davon sind Mal-Vorlagen oder gewölbte Bretter zum Balancieren so neu auch wieder nicht. Aber es steckt schon ein Kern Wahres dahinter: Die Kleinen sind gestresst. Aber nicht nur von Schule und Freizeitaktivitäten, sondern auch von ihrem Spielzeug.

Ein Blick ins Kinderzimmer genügt: Es blinkt und piept dort wie noch nie, Puppen reden und bewegen sich selbständig, Spielzeug anno 2017 ist durchautomatisiert und voller Sensoren und Computer-Chips. Oft liegen Tablets oder Smartphones griffbereit daneben, von denen aus mit ein wenig Hin- und Herwischen die Drohne gesteuert, das Püppchen gefüttert und überhaupt die reale mit der virtuellen Welt verschmolzen wird.

Kulturgeschichtlich betrachtet war Spielen immer schon das Nachvollziehen und Beherrschbarmachen des Großen im Kleinen. Was ein Kind im Alltag sieht und erlebt, wovon es fasziniert ist oder wovor es Angst hat, das übersetzt es in seine kleine Welt, steuert und kontrolliert es dort. Also ist es nur folgerichtig (und im Übrigen auch unaufhaltsam), dass die digitalisierte Welt der Erwachsenen auch ihren spielenden Nachwuchs erfasst.

Damit einhergehend werden die medialen Inhalte dieser virtuellen Welt transferiert: Die Helden und ihre Abenteuer aus Youtube-Filmchen und TV-Kinderkanälen. Ob Bob der Baumeister, Darth Vader oder Eiskönigin - sie alle haben die Bildschirme längst verlassen und sind samt ihrer Ausrüstung als Figuren, Bettwäsche, Kostüme, Zahnbürsten oder Sofakissen in den Kinderzimmern eingezogen. Das Geschäft boomt, fast jeden dritten Euro setzt die Spielwarenbranche inzwischen mit solchen aus Filmwelten abgeleiteten Lizenzprodukten um. Deren eigentliche Schöpfer, die Disneys und Warners dieser Welt, verdienen sich allein an den Lizenzgebühren dumm und dämlich.

Beides, die Digitalisierung und die Übernahme kompletter, durchgestylter Spielewelten, sind die wirklichen Megatrends in der Spielzeugwelt. Nimmt man sie ernst, fordern sie die Eltern in hohem Maße. Es geht darum, die richtige Balance zwischen digitaler Realität und dem zu finden, was Kindern seit Jahrzehnten guttut. Denn kindliche Kreativität und Fantasie drohen zu verkümmern, wenn Spielkamerad Chip das alleinige Kommando im Kinderzimmer übernimmt oder dort nur noch kopiert wird, was die Unterhaltungskonzerne vorgeben.

Wie Kinder die Welt nachspielen, bestimmen die Eltern, nicht Konzerne

Es braucht aber mehr. Ein schnöder Bauklotz ist in der Fantasie eines Kindes heute Teil einer Hausmauer und morgen ein Raumschiff. Gutes Spielzeug ist werthaltig im ideellen Sinn, es dient nicht primär dazu, die Kleinen ruhigzustellen und in vorgegebene Rollen zu pressen. Gutes Spielzeug macht Kinder zu Entdeckern, die mit Einfallsreichtum und Begeisterungsfähigkeit der großen Welt nachspüren und nebenbei ihre eigene kreative und geistige Entwicklung vorantreiben. Mit einem Ball kann man sich vielfältig bewegen, viele Brettspiele verlangen Konzentration und Sozialverhalten, Memory-Kärtchen trainieren die Merkfähigkeit. Es muss nicht nur und ausschließlich digital sein. Und verantwortlich dafür, wie und womit Kinder im Kleinen die große Welt entdecken, sind ohnehin nicht Industrie und Handel. Sondern einzig und allein die Eltern.

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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