Kommentar:Halten!

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In Berlin wird kolportiert, die FDP reklamiere das Finanzministerium für sich. Doch es spricht vieles dafür, dass Kanzlerin Merkel dieses wichtige Amt in den eigenen Reihen hält - und dadurch für mehr Stabilität einer möglichen Jamaika-Koalition sorgt.

Von Cerstin Gammelin

Kaum hat der amtierende Bundesfinanzminister bekannt gegeben, dass er sein Amt aufgeben wird, rüttelt der angebliche Nachfolger kräftig am Tor. Der nächste Bundesfinanzminister, so wird in Berlin kolportiert, wird von den Freien Demokraten kommen. Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass die Argumente, die dafür in die Waagschale geworfen, plausibel sind. Die FDP sagt, sie habe das erste Zugriffsrecht, und der Parteichef hat nun mal Ambitionen. Nur: Warum spricht eigentlich niemand über die Gründe, die ganz und gar gegen einen Finanzminister aus der FDP sprechen?

Sicher, eine Woche nach der Bundestagswahl ist es absolut zu früh, um detailliert über Ressorts oder Minister zu reden. Aber es ist nicht zu früh, um parteiintern Ziele auszugeben. Denn nach der Wahl beginnt die hohe Zeit des Nebelkerzenwerfens. Politiker, die Partner in einer Regierung werden wollen, legen Fährten, heizen Spekulationen an und verwischen Spuren. Es gilt, taktische Verhandlungsmasse aufzubauen für die folgenden Koalitionsgespräche, um die eigenen Interessen durchzusetzen.

Was das Bundesfinanzministerium betrifft, zeigen zwei jüngst nahezu gleichzeitig verbreitete Nachrichten auf, dass die Interessen von CDU und FDP daran durchaus kompatibel sind. FDP-Chef Christian Lindner twitterte, dass man keinen neuen Finanzminister brauche, sondern eine neue Finanzpolitik. Passend dazu verlautete aus der Union, dass ein Merkel-Getreuer den scheidenden Wolfgang Schäuble kommissarisch ersetzen soll, nämlich Kanzleramtschef Peter Altmaier.

Es sind zwei Nachrichten mit einer klaren Botschaft. Der FDP ist es wichtiger, ihre finanzpolitischen Forderungen im Koalitionsvertrag zu verankern, als den Minister für das Ressort zu stellen. Sie kann also damit leben, dass die Finanzen in CDU-Hand bleiben. Die Union wiederum will das Ministerium behalten, um es als erweiterte Machtbasis mit dem Kanzleramt zu nutzen.

Wenn Kanzler und Minister aus derselben Partei kommen, stabilisiert das die Koalition

Vieles spricht dafür, dass diese Aufteilung dem Experiment Jamaika im Bund die nötige Stabilität verleihen dürfte. Wenn Kanzlerin und Finanzminister aus einer Partei kommen, kann die Regierungschefin bei unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten ihren Minister notfalls entlassen, ohne dass die Koalition gefährdet ist. Das war bisher nicht nötig, weil Schäuble sich beim Streit etwa um Athens Verbleib im Euro am Ende immer der Kanzlerin unterordnete. Käme der Minister dagegen aus der FDP, wäre Jamaika beim Streit um den Euro schnell am Ende. Die Kanzlerin würde sich ihrer Richtlinienkompetenz bedienen, der Minister müsste sich verabschieden, seine Partei auch.

Die Sorge um ein vorzeitiges Zerbrechen ist real. Im Jahr 1966 platzte die Koalition aus Union und FDP, weil sich der kleine Koalitionspartner wehrte, das wachsende Haushaltsdefizit über höhere Steuern zu verringern. Der damalige FDP-Finanzminister war der letzte, den die Liberalen stellten. Statt Schwarz-Gelb regierte eine große Koalition weiter. Den Minister stellten seither CDU, CSU oder SPD.

Auch in einer Jamaika-Koalition bergen Bundeshaushalt und Steuerpläne gewaltige Sprengkraft. Die Liberalen fordern eine kräftige Steuersenkung, die Union dagegen nur eine kleinere. Streit ist auch absehbar um staatliche Investitionen. Der Staat soll ran, um Bildung, Migration und Infrastruktur zu modernisieren - es ist ziemlich das Gegenteil von dem, was die FDP will: nämlich weniger Staat.

Der Einwand, man könne das Finanzressort verkleinern und damit entschärfen, ist zwar grundsätzlich richtig. Er greift aber zu kurz. Haushalt und Steuern sind beim Finanzressort gesetzt. Das Gleiche gilt für den Euro. Weil es vor allem um Haushaltspläne, Defizite und Euro-Stabilität geht, ist das Finanzressort rein fachlich das Richtige.

Jenseits der machtpolitischen Überlegungen zur längstmöglichen Überlebensfähigkeit eines schwarz-gelb-grünen Bündnisses spielen natürlich die Kandidaten eine Rolle. Dass Parteichef Lindner auf Inhalt statt Posten setzt, liegt auch daran, dass die Liberalen wegen ihrer bundespolitischen Abstinenz kein Schwergewicht zu bieten haben, das den Posten ohne Weiteres besetzen kann. Merkel dagegen hat mehrere Kandidaten, die das Ministerium sicher führen können und auch loyal und zuverlässig sind. Auch könnte der neue Hausherr einfach bleiben: Peter Altmaier hat das Ministerium kommissarisch übernommen, um sich in den Koalitionsverhandlungen eng mit dem Kanzleramt abstimmen zu können, begründet die CDU seinen Doppelhut. An dieser Aufgabenbeschreibung ändert sich auch in der nächsten Regierung nichts.

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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