Kommentar:Gauner und Sündenböcke

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Die Kette der Skandale an der Wall Street reißt nicht ab. Dutzende von Devisenhändlern, die in Handschellen abgeführt werden, lieferten den TV-Kameras am Mittwoch ein Bild, das an eine Mafiosi-Gesellschaft erinnerte.

Von Andreas Oldag

(SZ vom 20.11.03) — In der Öffentlichkeit dürfte sich der Eindruck verfestigen, dass es sich bei der mächtigen amerikanischen Finanzindustrie um eine Vereinigung von Kriminellen handelt.

Das ist gewiss übertrieben. In der aufgeheizten Stimmung müssen Banker und Broker schnell als Sündenböcke für alle Unregelmäßigkeiten herhalten. In den mit puritanischem Eifer geführten Untersuchungen der Börsenaufsicht und der Justiz gegen Firmen wie Worldcom und Enron sowie jetzt gegen die Investmentfondsbranche ist ein Schwarz-Weiß-Bild entstanden, das nur wenig mit der Realität zu tun hat.

Enttäuschung und Geldgier

Die enttäuschten Anleger, die ihre Verluste an der Börse jetzt bejammern, haben zu Zeiten der Aktieneuphorie in den 90er Jahren kräftig mitgeholfen, die Geldmaschine Wall Street auf immer höhere Drehzahlen zu bringen.

Analysten, die eigentlich nur Belanglosigkeiten berichten konnten, sind in Talk-Shows wie Gurus empfangen worden. Von Geldgier getriebene Investoren sprangen auf jeden Zug auf.

Insofern hat sich auch der ehemalige Chef der New Yorker Börse, Richard Grasso, der wegen einer gigantischen Gehaltszahlung von 140 Millionen Dollar zurücktrat, nur genommen, was ihm der Markt zubilligte. Kriminell war dies nicht.

Illegaler Handel

Das mag im Fall der verhafteten Devisenhändler anders liegen. Sie haben offenbar gegen bestehende Gesetze und Regelungen verstoßen, ähnlich wie Manager großer Fonds, die auf Kosten der Anleger illegalen Handel betrieben.

Wer sich allerdings die Arbeitsweise der Fondsbranche genauer anschaut, wird rasch erkennen, dass es häufig das System ist, welches die Menschen zu Gaunern macht. Junge Hochschulabsolventen, die ihre Karriere in der Finanzindustrie beginnen, stehen unter gewaltigem Druck.

Hollywoodreife Szenen

Sie müssen Anlageprodukte, die in Hochglanzbroschüren das Paradies auf Erden versprechen, um jeden Preis verkaufen. Wer nicht spurt, hat keine Chance an der Wall Street. Die hollywoodreifen Szenen, die von der Verhaftung der Devisenhändler im Fernsehen liefen, mögen das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Abrechnung befriedigen.

Eine grundlegende Reform der Finanzbranche braucht jedoch mehr: Notwendig ist eine wirksame Kontrolle, welche die Selbstbedienungsmentalität der Manager in die Schranken weist. Dies wird allerdings nur funktionieren, wenn sich auch die Unternehmenskultur ändert.

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