Kommentar:Furcht vor Finanzdrama

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Bislang hat die Führung in Peking keinen großen Graumarkt-Fonds pleite gehen lassen. Aus Angst vor Unruhen. Doch Anbang ist groß - ein gewaltiger Schneeball, der nun abzugehen droht. Die Lawine wird auch in Europa zu spüren sein.

Von Christoph Giesen

Ein reicher Mann wird verhaftet, niemand weiß genau, wo er steckt, und was man ihm vorwirft. In China ist das in den vergangenen Monaten mehrfach vorgekommen. Im Januar wurde der Milliardär Xiao Zhenhua sogar aus einem Hotel in Hongkong entführt. Die Überwachungskameras zeichneten noch auf, wie mehrere Männer ihn in einem Rollstuhl sitzend mit einer Decke über dem Kopf davon schoben. Seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört.

Milliardäre und Parteifunktionäre - das war lange eine symbiotische Beziehung in China. Die einen haben das Geld, die anderen die Macht. Chinas Reiche wissen sehr viel, manche zu viel. Da passt es ins Bild, dass seit einer Woche nun Wu Xiaohui, der Aufsichtsratschef des Versicherungskonzerns Anbang, verschwunden ist und niemand weiß, was man ihm vorhält. Doch der Fall Anbang ist besonders. Es ist diesmal wohl nicht die Politik, die einen Milliardär kaltstellt, es ist vielmehr die Politik, die viel zu lange gezögert hat, einen aus ihren Reihen zu stoppen. Im schlimmsten Fall könnte das in einem Finanzdrama enden.

Lange Zeit war Chefaufseher Wu unangreifbar. Er ist in zweiter Ehe mit einer Enkelin von Reformpatriarch Deng Xiaoping verheiratet. Sicherer kann man in China nicht sein. Und dennoch baute Wu vor, er stellte die Söhne eines ehemaligen Premierministers und eines hochrangigen Generals ein. Gemeinsam drehten sie das ganz große Rad.

Die Zuwächse sind selbst für chinesische Verhältnisse atemberaubend. 2013 noch sammelte das Unternehmen 26 Milliarden Yuan (etwa 3,5 Milliarden Euro) an Prämien ein. Im vergangenen Jahr waren es dann 504 Milliarden. 2000 Prozent in nur drei Jahren. Fast 20 Milliarden Dollar davon investierte Anbang im Ausland. Der erste große Zukauf: das Waldorf Astoria Hotel in New York für knapp zwei Milliarden Dollar. Etliche Immobiliendeals folgten, dann Übernahmen in der Finanzbranche. Ende 2016 kaufte Anbang das Südkorea-Geschäft der Allianz für 1,6 Milliarden Euro. Ein niederländischer Versicherer kam hinzu. Auch in Deutschland hielt Anbang sich bereit. Die HSH Nordbank, die auf Anordnung der Europäischen Kommission verkauft werden muss, sollte es sein. Und noch mehr. Man spähte weitere Übernahmeziele aus, weitaus größer und prominenter - doch dazu wird es wohl nicht kommen. Anbang, so scheint es, ist ein gewaltiger Schneeball geworden, der nun zu schmelzen droht.

Kaum eine Bank in China bietet noch Anbang-Produkte an. Der Versicherung könnte deshalb bald das Geld ausgehen. Daten der Regierung offenbaren, dass im April die Umsätze im Vergleich zum Vorjahresmonat eingebrochen sind. Im April 2016 sammelte Anbang noch 5,9 Milliarden Dollar ein. Ein Jahr darauf waren es 218 Millionen. Die Wettbewerber in China konnten im selben Zeitraum im Durchschnitt um 4,5 Prozent zulegen.

Anbang ist ein gewaltiger Schneeball, der nun abzugehen droht

Fast die Hälfte des Geldes nahm Anbang mit sogenannten Wealth Management Products (WMP) ein. Das sind meist kurzfristig laufende, kaum durchschaubare Graumarktprodukte, die bei Sparern in China dennoch beliebt sind. Die Anleger werden Anteilseigner eines Wolkenkratzers in Shanghai, Mitbesitzer eines Frachters, der Waren nach Europa schippert, oder Geldgeber für eine Solarfabrik. Viele haben keine Ahnung, was mit ihrem Geld geschieht. Sie glauben, dass sie es den Staatsbanken anvertrauen, die ihnen die Produkte verkaufen. Bislang hat die Führung in Peking sichergestellt, dass kein großer Graumarkt-Fonds pleite ging. Zu groß ist die Furcht, vor Unruhen.

2014 etwa sprang ein staatliches Unternehmen ein, als der Anbieter Credit Equals Gold vor der Insolvenz stand. 488 Millionen Dollar hatte der Fonds damals eingesammelt. Anbang verwaltet jedoch fast 300 Milliarden Dollar, knapp die Hälfte davon gelten als Hochrisiko-Anlagen. In der Finanzbranche in China raunt man sich deshalb seit ein paar Tagen nur ein Wort zu: Lehman. Lässt Peking Anbang fallen, könnte der WMP-Markt kollabieren und so manches Geschäft im Ausland.

Die Finanzaufseher in Europa müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht genau hingesehen zu haben, wer da investiert und woher das Geld stammt. Anbang ist eine Geheimgesellschaft mit verschlungenen Strukturen. Ein Geflecht von rund 40 Briefkastenfirmen, die fast alle Freunden und Verwandten des nun verhafteten Wu Xiaohui gehören. Ungereimtheiten gab es jede Menge.

© SZ vom 20.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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