Kommentar:Dornröschen wachgerüttelt

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Der Fall Stada zeigt: Die Zeiten der passiven Anteilseigner sind vorbei. Die Investoren reden verstärkt mit, um Manager und Unternehmen aufzuwecken.

Von Elisabeth Dostert

Hauptversammlungen sind meist träge Veranstaltungen. Langeweile garantiert. Es gibt in Deutschland ein paar Tausend Aktiengesellschaften (AG), Europäische Aktiengesellschaften (SE) und Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA), alle müssen Hauptversammlungen abhalten. Sie laufen für gewöhnlich so ab: Vorstand und Aufsichtsrat arbeiten die Tagesordnung ab. Sie lesen monoton vor, wie das vergangene Jahr gelaufen ist, wie die Geschäfte gerade laufen und wie sie laufen werden. Dann folgt die Generaldebatte, die oft keine ist. Ein Vertreter der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger und/oder der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz lobt viel und kritisiert wenig - oder umgekehrt. Aktionäre melden sich zu Wort, und wenn es nur ist, um sich darüber zu beschweren, dass sie das Ausfahrtticket für den Parkplatz selbst zahlen müssen. Institutionelle Anleger wie Union Invest, Blackrock oder Deka reisen häufig erst gar nicht an. Sie verteilen ihr Geld auf viele Konzerne. Viele Beteiligungen, vor allem die an kleineren Firmen, werden "passiv gemanagt". Passiv beschreibt die Sache treffend, gemanagt wird gar nichts.

Nach der Debatte wird abgestimmt: über die Verwendung des Bilanzgewinns, über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, manchmal auch über die Erhöhung des Kapitals oder Satzungsänderungen. Die meisten Aktionäre lassen die Veranstaltung wortlos über sich ergehen und stimmen den Vorschlägen von Vorstand und Aufsichtsrat zu. Die großen Mehrheiten kommen auch deswegen zustande, weil hinter vielen börsennotierten Konzernen Familien mit großen Aktienpaketen stehen: die Quandts und Klattens bei BMW, der Piëch-Porsche Clan bei VW, die Bauers bei Bauer, die Fielmanns bei Fielmann und die Webers bei Gerry Weber.

Die Aktivisten setzen das Management unter Druck. Sie haben eigene, legitime Interessen

Mit der Lethargie ist jetzt Schluss. Immer öfter mischen aktivistische Aktionäre Hauptversammlungen auf. Den vorläufigen Höhepunkte setzte beim Aktionärstreffen des Pharmaunternehmens Stada der Investor Active Ownership Capital (AOC). Der Name - frei übersetzt - Aktives Eigentümerkapital ist Programm. AOC hält nur gut fünf Prozent an Stada. Die reichten, um Bewegung in das bisher weitgehend passive Stimmvieh zu bringen. In ein paar wichtigen Punkten konnte AOC viele andere Aktionäre hinter sich bringen. Am Ende stürzte die Mehrheit Aufsichtsratschef Martin Abend.

Es gab auch bislang turbulente Hauptversammlungen, Stimmen wie den Würzburger Professor Ekkehard Wenger, der die Missstände und Gesetzesverstöße in deutschen Konzernen seit Jahrzehnten anprangert. Legendär ist sein Auftritt bei Daimler-Benz 1993. Die Ordnungshüter trugen Wenger hinaus, weil er sich nicht an die Redezeit halten wollte. Es gibt Männer wie Christian Strenger, Investmentbanker und Hüter guter Corporate Governance - guter Unternehmensführung. Er ergreift bei großen Konzernen wie VW das Wort, aber auch bei kleinen wie Stada.

Investoren wie AOC pflegen eine neue Kultur. Sie suchen sich gezielt unterbewertete Unternehmen aus, steigen mit ein paar Prozent ein und stocken dann auf. Es gibt dafür große Beispiele in den USA: Guy Wyser-Pratt, Paul Singer, Carl Icahn oder Warren Buffet mit ihren milliardenschweren Fonds. Dagegen ist AOC ein Fliegengewicht. Ob groß oder klein, die Methoden sind rigide. Die Aktivisten setzen Vorstand und Aufsichtsräte gewaltig unter Druck, gerne mit Hilfe der Medien. Sie streuen Informationen und versuchen, Aufsichtsräte und Vorstände gegeneinander auszuspielen. Die Transparenz, die sie von Vorständen und Aufsichtsräten fordern, liefern die Aktivisten selbst selten. Von wem beispielsweise das Geld kommt, das sie ausgeben? Die Aktivisten sind schwer zu greifen. AOC hat seinen Sitz im Steuerparadies Luxemburg. Die neuen Investoren geben sich als Verfechter der Aktionärsdemokratie aus. Das sind sie nicht. Sie verfolgen handfeste eigene Interessen und instrumentalisieren den schweigsamen Rest für ihre Zwecke. Dem ist das gerade recht, denn vom Kursgewinn haben alle etwas. Die Aktivisten wollen den Wert der Firma steigern und ihr Aktienpaket dann teurer verkaufen. Das ist legitim. Das sollten allerdings auch die Mittel der Aktivisten sein. Stada war eine leichte Beute, weil die Aktien breit gestreut und preiswert waren. Vergleichbare Unternehmen sind an der Börse mehr wert. Es war höchste Zeit, Vorstand und Aufsichtsrat aus ihrer trauten Zweisamkeit herauszureißen. In den Reihen der deutschen Aktiengesellschaften gibt noch viele Dornröschen. Prinzen mit edlen Motiven sind die Aktivisten nicht, eher Rüpel. Sie küssen nicht wach, sie reißen Dornröschen unsanft aus den Schlaf. Es ist an der Zeit.

© SZ vom 30.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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