Kommentar:Die Grenzen des Wachstums

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In einem internen Bericht nähert sich die Weltbank seit Neuestem wieder dem Neoliberalismus an. Der neue Chef Paul Wolfowitz sollte diese Strömungen allerdings nicht fördern. Denn mit Wachstumsgläubigkeit allein ist die Armut der Welt nicht zu besiegen.

Von Arne Perras

Es zählt zu den großen Verdiensten des scheidenden Weltbankchefs James Wolfensohn, dass er den Kampf gegen die Armut zum Leitmotiv erhoben hat.

Paul Wolfowitz. (Foto: Foto: AP)

Auf den ersten Blick mag dies als selbstverständlich erscheinen, doch eben dieser Schritt erforderte sehr viel Kraft. Denn gerade die Weltbank hat viel zu lange allein dem Götzen des Wachstums gehuldigt - in der irrigen Annahme, dass große Wachstumsraten schon ausreichen werden, ein Land aus dem Elend zu ziehen.

Erst unter Wolfensohn erhielten die Wachstumsfetischisten ernsthafte Konkurrenz. Mehr Gewicht bekamen fortan jene Experten, die Armut als ein politisches Krisensymptom begriffen. Sie verordneten eine viel breitere Therapie als die herkömmlichen reinen Wachstumsrezepte - und dies war gut so.

Errungenschaften stehen in Frage

Jetzt aber stehen offenbar einige Errungenschaften der Ära Wolfensohn wieder in Frage. Denn ein neuer interner Prüfbericht der Weltbank bezweifelt den Nutzen der neueren Konzepte. Auf einmal ist wieder die Rede davon, dass der Wachstumsgedanke nicht genügend Gewicht habe. Außerdem sei fraglich, welchen Nutzen höhere Investitionen in Bildung und Gesundheit für den Kampf gegen die Armut tatsächlich hätten.

Erlebt der Neoliberalismus in der Weltbank nun also eine Renaissance? Werden nun alle Programme, die etwa Ausbildung und Gesundheit fördern, auf dem Altar der Wachstumsgläubigkeit geopfert?

Es wäre schädlich, wenn die Weltbank in alte Rollen zurückfiele, ohne den Mut zu haben, weiter neue Pfade in der Armutsbekämpfung zu beschreiten. Es stimmt schon: Wer Schulen und Universitäten baut, wer Lehrer ausbildet und Professoren, wer Krankenhäuser einrichtet und Gesundheitsstationen, der wird kaum einen unmittelbaren Effekt für die Wirtschaft des Landes spüren.

Aber das heißt nicht, dass solche Schritte im Kampf gegen die Armut nicht taugen. Im Gegenteil: Nur wenn es die ärmsten Länder schaffen, einen breiten Teil ihrer Bevölkerung zur Schule zu schicken und für die verschiedensten Berufe auszubilden, nur wenn ihre Bürger eine Chance haben, Krankheiten wie Aids oder Malaria zu entkommen, gibt es eine Basis für späteren Fortschritt.

Qualifikationsmöglichkeiten

Ohne eine breite gebildete Schicht und gute Qualifikationsmöglichkeiten wären auch europäische Länder niemals in der Lage gewesen, ökonomisch so erfolgreich zu sein.

Natürlich muss es auch Kraftwerke geben, Highways, Bahnhöfe, Flughäfen. Wo aber Wirtschaftsförderung nur einer kleinen Elite nützt, wo Investitionen den Export einiger weniger Produkte oder Rohstoffe ankurbeln, ohne dass die breite Bevölkerung daran teilhat, dort ist die Armut nicht zu besiegen.

Beispiel Afrika: Die Wachstumsraten auf dem Kontinent sind so hoch wie nie, aber die Armut hat dies nicht reduzieren können, das Elend breitet sich immer weiter aus.

Reichtum sickert nicht einfach durch

Der Mythos vom viel beschworenen "Trickle-Down-Effect" ist tot. Denn Reichtum sickert nicht einfach durch bis in die Slums und armen Dörfer. Die Staaten müssen den Kampf gegen die Armut schon zur Priorität erheben, und die Weltbank kann dabei potenter Partner sein.

Vor sozialen Projekten sollten die Welt-Banker nicht zurückschrecken, auch wenn die Früchte erst in vielen Jahren reifen werden. Denn es geht nicht um schnelle Wachstumserfolge, die in armen Ländern oft wieder verpuffen. Alle Versuche, Elendsstaaten im Hau-Ruck-Verfahren aus dem Sumpf zu ziehen, sind gescheitert. Es geht um die Bereitschaft, einen mühsamen Weg über Jahrzehnte hin durchzuhalten.

Primat der Armutsbekämpfung

Im Juni übernimmt Paul Wolfowitz die Führung der Weltbank. Noch ist nicht auszumachen, ob er die neoliberalen Strömungen, die nun zu Tage treten, fördern wird. Für den Kampf gegen das globale Elend wäre dies ein Rückschlag. Wolfowitz hat versprochen, dass er den Primat der Armutsbekämpfung beibehalten werde. Wachstumsglaube allein führt an diesem hehren Ziel vorbei.

© SZ vom 21.05.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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