Kommentar:Die Flexibilität der anderen

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Unternehmer sollten die Wünsche, Ziele und Nöte ihrer Leute ernster nehmen. Damit das klappt, ist Teilzeit wichtig.

Von Henrike Roßbach

Mit der Teilzeit ist es wie mit dem Spiel "Himmel und Hölle", das man aus einem quadratischen Papier faltet. Je nachdem, welche Seite man aufklappt, blickt man in den Himmel oder eben die Hölle. Der "Himmel", das wäre in diesem Zusammenhang "Führen in Teilzeit". Kaum eine Debatte zur Frauenförderung kommt ohne den Ruf nach Karrieren diesseits der 70-Stunden-Woche aus, um Müttern (und engagierten Vätern) den Aufstieg zu ermöglichen. Die "Hölle" dagegen ist die weniger schillernde Seite von Teilzeitarbeit. Die hat rein gar nichts zu tun mit ausgebremsten Karrierefrauen, sondern mit denen, die in ihren Teilzeitjobs feststecken, wenig verdienen und gern mehr arbeiten würden. Teilzeitfalle nennt man das, und im Bundestag wurde diese Woche beschlossen, dem Phänomen mit einer "Brückenteilzeit" zu Leibe zu rücken.

In Zukunft haben Arbeitnehmer nun das Recht, für ein bis fünf Jahre in Teilzeit zu gehen - inklusive Rückkehrrecht in Vollzeit. Um sie organisatorisch nicht zu überfordern, sind Unternehmen mit bis zu 45 Mitarbeitern ausgeschlossen, für mittelgroße Firmen gibt es eine "Zumutbarkeitsgrenze": Ab einer bestimmten Anzahl Teilzeitwilliger dürfen sie "Stopp" sagen.

Diese neue Teilzeitvariante sorgt dafür, dass man künftig gar nicht erst in die Teilzeitfalle tappt, wenn man die Arbeitszeit vorübergehend verringert. Sie nutzt aber denen nichts, die schon in der Falle hocken. Für diese Gruppe ist im Brückenteilzeitgesetz von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zwar auch etwas drin: Künftig muss der Arbeitgeber beweisen, dass es - vereinfacht gesagt - keine geeignete Vollzeitstelle für sie gibt, während bislang der Arbeitnehmer das Gegenteil nachzuweisen hatte. Diese Spezifizierung aber wird die bestehenden Verhältnisse nicht wirklich auf den Kopf stellen.

Ja, Betriebe müssen sichergehen können, dass Verträge gelten. Darüber hinaus wäre ein generelles Rückkehrrecht in Vollzeit für die heute fast 16 Millionen Teilzeitbeschäftigten wohl kaum zu bewältigen gewesen. Dennoch wären die Arbeitgeber gut beraten, freiwillig in sich zu gehen. Es ist schon erstaunlich, wie lautstark man angesichts des Fachkräftemangels "Mehr Frauen in Vollzeit" rufen kann, um gleichzeitig ein Rückkehrrecht in ebendiese Vollzeit als wahlweise überflüssig oder Zumutung zu brandmarken.

Gut viermal so viele Frauen wie Männer arbeiten in Teilzeit; zwei Drittel aller Mini-Jobber sind Frauen. Selbst in Branchen, in denen Teilzeit generell weit verbreitet ist, verringern mehr Frauen als Männer ihre Arbeitszeit. Teilzeit bedeutet mehr Flexibilität, mehr Freiraum für Familie, Ruhe, Interessen und Engagement. Das muss man sich aber leisten können. Denn es bedeutet auch: weniger Geld, weniger Perspektiven, weniger Rente für Frauen - eine Zukunftshypothek.

Die meisten Arbeitgeber wissen heutzutage durchaus, was sie an ihren Mitarbeitern haben. Nicht nur an den hochqualifizierten, sondern auch an den normalen Fachkräften, ja selbst an zuverlässigen Helfern. Und trotzdem führen viele nach wie vor Abwehrschlachten, wenn es um mehr Selbstbestimmungsrechte der Beschäftigten bei der Arbeitszeit geht. Führen in Teilzeit ist nicht weit genug verbreitet, um für Frauen wirklich einen Unterschied zu machen. Eine geförderte Familienarbeitszeit, bei der Väter und Mütter beide ihre Arbeitszeit auf irgendwas rund um 30 Stunden senken? Bloß nicht! Und weil es in vielen Branchen einfacher zu organisieren ist, möglichst viele Teilzeitkräfte über den Dienstplan zu verteilen als Vollzeitmitarbeiter, bleibt die Aufstockung der Arbeitszeit, die gut jeder sechste Teilzeitbeschäftigte sich wünscht, genau das: ein Wunsch.

Flexibilität aber ist immer auch die Flexibilität der anderen. Natürlich lassen sich Organisationsstrukturen, Karrierewege und Betriebsabläufe nicht von heute auf morgen umstürzen. Morgen aber kommt schneller als man denkt, und es ist an der Zeit, Letzteres, also das Denken, etwas zu beschleunigen. Man kann natürlich mit Studien wedeln, dass die Hälfte (!) der unzufriedenen Teilzeitler nach drei (!) Jahren in Vollzeit wechseln konnte. Man kann aber auch einfach anfangen, die Wünsche, Ziele und Nöte seiner Leute ein bisschen ernster zu nehmen als in der Vergangenheit.

© SZ vom 20.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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