Kommentar:Deutschland allein reicht nicht

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Deutsche Konzerne machen ihr Geschäft immer öfter im Ausland. Doch bislang halten die Gewerkschaften leider nicht Schritt.

Von Max Hägler

Es war eine Nachricht vor wenigen Tagen, die schnell abgetan werden könnte: Da erkämpften Arbeitnehmervertreter bei Daimler unter starker Mithilfe der deutschen Kollegen die Rücknahme von 1500 Kündigungen in Brasilien. Aus Arbeitnehmersicht ist das wahrscheinlich gut - aber halt weit weg.

Tatsächlich ist dieses Verhandlungsergebnis - die Arbeiter im Werk São Bernardo sind für ein Jahr weiter angestellt, jedoch nun in Kurzarbeit - bemerkenswert. Bislang wird die Globalisierung in der Wirtschaft vor allem von einer Seite getrieben, den Eigentümern, den Arbeitgebern. Die Produkte Deutschlands, der zweitgrößten Exportnation der Welt, werden rund um den Globus verkauft. Immer öfter werden sie gar nicht mehr hier geschaffen, sondern in Werken im Ausland, jetzt auf der Automesse IAA ist das Ergebnis zu sehen. Doch die Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften halten mit der Globalisierung selten Schritt.

Daimler etwa gibt 279 972 Menschen Arbeit - 111 063 von ihnen arbeiten nicht in Deutschland. Bislang liefen die in der Wahrnehmung nebenher, was auch dem ehemaligen Daimler-Gewerkschaftschef geschuldet war, der sich in seiner langen Amtszeit vor allem für das S-Klasse-Stammwerk Sindelfingen interessiert hat, sein Interesse am Rest nahm proportional mit der Entfernung ab. Internationale Solidarität? Davon war bislang wenig zu spüren - so wenig wie bei so ziemlich allen anderen deutschen Konzernen, die die Welt erobern, aber deren Arbeitnehmervertreter beinahe ausschließlich auf den eigenen Standort schauen und die mit dafür sorgten, dass der politische Begriff "Arbeiterklasse" beinahe verschwunden ist.

Das ist nachvollziehbar, die Arbeitnehmervertreter sind zum größten Teil organisiert in der IG Metall oder der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Deren zahlende Mitglieder stammen aus Deutschland und sie ermöglichen den Gewerkschaftern und Betriebsräten letztlich ihre Ämter und Mandate. Um diese Mitglieder gilt es sich zuvorderst zu kümmern. Besonders deutlich wird das alljährlich im Frühjahr, wenn die starken Konzerne Seit an Seit mit stolzen Betriebsräten ihre Bonuszahlungen bekanntgeben, ein paar Tausend Euro für jeden. Aber nur für die Belegschaft in Deutschland.

Bislang war dieser ausschließliche Blick auf den eigenen Hof nur unsolidarisch, er ist aber zunehmend sogar noch dumm. Wer als Gewerkschafter nicht darauf achtet, dass überall ordentliche Lebens- und Arbeitsbedingungen herrschen, macht es den global agierenden Konzernen allzu leicht, die ganz flexibel Leute einstellen und vor allem wieder hinausbefördern können. Das schwächt auch die Position der Leute im eigenen Land, die so auch leichter zum Spielball werden.

Einen fairen Umgang dürfen Mitarbeiter überall auf der Welt erwarten

Glücklicherweise ändert sich das Bewusstsein, wenn auch langsam. Die Gewerkschaften erkennen, dass internationale Märkte, Mindestlohn und Arbeitsplatzsicherheit zusammenhängen und machen gemeinsame Sache, über die Grenzen hinweg. Verdi etwa kämpft mit amerikanischen Unions gegen die Arbeitsbedingungen bei Amazon. Denn die Umstände, unter denen in den USA und auch in Deutschland geschuftet wird, sind nicht gerade optimal. Und beim Protest gegen die mitunter miesen Jobverhältnisse bei Edeka tritt man auch für die ausgebeuteten Pflücker ein, deren Orangenernte in Deutschland im Regal steht.

Bei der "Clean Clothes Campaign" geht es um sichere und ordentlich bezahlte Jobs der Textilarbeiter in Niedriglohnländern, aber auch darum, dass den Logistikern im Hamburger Hafen nicht eine Wolke giftiger Dämpfe entgegenweht beim Öffnen der Container. Letztlich geht es auch um die Gesundheit der Verbraucher.

Natürlich ist die Frage: Wie weit soll die Solidarität gehen, ist gleicher Lohn das Ziel? Das ist utopisch, weil Lohnvorteile im globalen Wettbewerb wichtig sind, weil die Sozialgesetzgebung zu unterschiedlich ist und auch die Gewerkschaftskulturen. Aber einen fairen Umgang dürfen Mitarbeiter überall erwarten, unabhängig von ihren konkreten Lebensstandards und den daraus resultierenden lokalen Löhnen. Gerade starke deutsche Unternehmen und Gewerkschaften sollten hier mit gutem Beispiel vorangehen.

Der Streik bei Daimler in Brasilien, das Einmischen des (neuen) Betriebsratschefs aus dem fernen Deutschland und dann die Bereitschaft des Arbeitgebers zur Einigung - das ist gut für die Arbeitnehmer in Brasilien und in Deutschland. Solch ein Einsatz sollte zur Regel werden. Und die Arbeitgeber sollten dabei mitziehen, wie es Daimler getan hat. Wenn nicht der Moral wegen, dann aus ökonomischen Gründen: Zufriedene Mitarbeiter arbeiten besser, überall in der Welt.

© SZ vom 15.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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