Kommentar:Der Webfehler einer Kanzlerschaft

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Warum die SPD die Kapitalismusdebatte so begierig aufgreift - und warum ihr das zum Nachteil gereicht.

Von Christoph Schwennicke

Am 8. Juni 1999 wurde "der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten" beschrieben. Man müsse, so hieß es damals, eine Politik in einem neuen wirtschaftlichen Rahmen betreiben, "innerhalb dessen der Staat die Wirtschaft nach Kräften fördert, sich aber nie als Ersatz für die Wirtschaft betrachtet".

Gelegenheits-Ökonom Franz Müntefering. (Foto: Foto: dpa)

Weiterhin müsse die Steuerungsfunktion von Märkten durch die Politik verbessert, "nicht aber behindert werden".

Die Ansicht, dass der Staat schädliches Marktversagen korrigieren müsse, führe in die Irre: "Wir haben Werte wie persönliche Leistung und Erfolg, Unternehmergeist, Eigenverantwortung und Gemeinsinn zu häufig zurückgestellt hinter universelles Sicherungsstreben."

Gedanken zu einer modernen Sozialdemokratie

Diese Gedanken zu einer modernen Sozialdemokratie, gemeinhin bekannt als Schröder-Blair-Papier, lesen sich wie eine Gegenrede zu Franz Münteferings Ruf nach dem Wirtschafts-Wächterstaat.

Die SPD war damals, kurz nach ihrem Wahlsieg, nicht Manns genug, sich zu den aus London entlehnten Erkenntnissen auf breiter Front durchzuringen. Und sie ist es, wie die Reaktion auf Münteferings Heuschrecken-Debatte erweist, bis heute nicht.

Dabei hatte das Schröder-Blair-Papier sogar den Anstoß zur Überarbeitung des SPD-Grundsatzprogramms gegeben. Aber dennoch hat es die Partei mit Erfolg kollektiv verdrängt: Schröder-wie-Papier?

Dreimal schlecht

Umso gieriger wurden in der SPD nun die Münte-Thesen aufgenommen. Das ist dreimal schlecht: Es ist schlecht für Schröder, schlecht für Deutschland und schlecht für die SPD.

Der Gelegenheits-Ökonom Müntefering, der vor Jahren zugunsten eines starken Staates zu privatem Konsumverzicht aufgerufen hatte, gab der Partei, was sie hören wollte. Dabei müsste er, wenn er sie jenseits der Bundestagswahlen 2006 oder sonst wann in die Zukunft führen möchte, das sagen, was sie eben nicht hören will.

Müntefering ruft einen Geist in der SPD wach, den Gerhard Schröder in sechseinhalb Jahren seiner Amtszeit mühsam in die Schranken zu weisen versuchte. Müntefering hat so fahrlässig gehandelt wie derjenige, der einem Alkoholiker nach Jahren des Entzugs einen Schluck aus der Pulle genehmigt: Es tut so gut. Aber es ist so falsch.

Dass Bundeskanzler Schröder fünf Jahre Anlauf brauchte, um die Reform Deutschlands anzupacken, hat in erster Linie mit dem inneren Widerstand der SPD zu tun. Dieser Widerstand war mal lauter, er war mal leiser. Aber er war immer da.

Erst reformiert, dann regiert

Der Webfehler von Schröders Kanzlerschaft liegt in der Zeit, bevor sie begann. Sein Co-Autor Tony Blair hatte erst Labour reformiert und dann regiert. 1995 tilgte Blair "Clause Four", die Sozialismusformel, aus dem Programm seiner Partei. 1997 wurde er Premier und bekam nun seine dritte Amtszeit.

Im Programm der SPD steht der Sozialismus als Endziel bis heute festgeschrieben und wird es wohl auch bleiben. Für die dritte Amtszeit Schröders sieht es eher schlecht aus.

© SZ vom 20.05.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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