Kommentar:Der oder ich

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Im Haushaltsstreit in Berlin steckt Finanzminister Schäuble in einem Dilemma: Er kann SPD-Chef Gabriel nicht nachgeben, ohne die eigenen Ziele aufzugeben.

Von Cerstin Gammelin

In Berlin wird dieser Tage weniger regiert als vielmehr politisch gespielt. Spitzenpolitiker verschärfen den Ton, um für ihre jeweilige Klientel Stimmen zu sammeln, die sich bei den Landtagswahlen am kommenden Sonntag in politisches Kapital umwandeln lassen. Kapital, mit dem anschließend bei den finalen Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2017 mit der Attitüde des Siegers noch diverse Forderungen durchgesetzt werden können.

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat dem innenpolitischen Spiel jüngst mit dem Wort "erbarmungswürdig" einen besonderen Dreh verpasst - und bewusst einen veritablen Koalitionskrach ausgelöst. Er nutzte das Wort, das wahlweise mit erbärmlich, armselig oder mitleiderregend getauscht werden kann, dazu, um die von Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) vorgetragene Forderung nach einem Sozialpaket für Bundesbürger zu deklassieren. Seither befinden sich SPD und Union in einem heftigen verbalen Schlagabtausch. Es ist ein Streit, der davon ablenkt, dass der Initiator, nämlich Schäuble, selbst nicht in der politischen Komfortzone sitzt.

Schäuble unter Zwang: Er kann Gabriel nicht nachgeben, ohne sein eigenes Ziel zu gefährden

Der Bundesfinanzminister soll am 23. März einen soliden Haushaltsplan für das kommende Jahr vorlegen, der unterm Strich verspricht, ohne zusätzliche Schulden auszukommen. Mit der sogenannten "schwarzen Null" für 2017 geht Schäuble allerdings haushalterisch wie politisch außergewöhnlich hoch ins Risiko. Erstens, weil Anfang 2017 erstmals tatsächlich anhand realer Zahlen die Kosten des Flüchtlingszustroms abgerechnet werden. Und zweitens, weil nicht absehbar ist, wie sich die Stimmung in Deutschland entwickeln wird. Klar ist nur: Muss Schäuble dann die schwarze Null Anfang 2017 kassieren, weil die Flüchtlinge eben doch mehr Geld kosten als veranschlagt, wird es wenige Monate vor der nächsten Bundestagswahl sehr eng für die Wahlkämpfer der Union - aber auch für die der mitregierenden SPD.

Schäuble hat es, um im Bilde zu bleiben, mit mehreren Gegnern zu tun. Da sind die Minister der Bundesregierung, die wie jedes Jahr vor den Haushaltsverhandlungen großzügig Forderungen anmelden, um für ihre Ressorts mehr Geld rauszuschlagen. Gewiss, das ist Routine, aber im Jahr eins nach Ausbruch der Flüchtlingskrise lesen sich die Forderungen so, als müsste noch der letzte Bürgersteig ausschließlich wegen der vielen Flüchtlinge gebaut und vom Bund finanziert werden. Die Verhandlungen mit den Ministern dürften allerdings eher lästig als schwierig für den Bundesfinanzminister sein - auch deshalb, weil er im Zweifel auf den schönen Satz im Koalitionsvertrag verweisen kann, dass zusätzliche Projekte durch Einsparungen im selben Ressort gegenfinanziert werden sollen.

Besonders heikel ist dagegen der politische Streit mit dem Koalitionspartner. Schäuble will den kompletten Haushaltsüberschuss von mehr als 12 Milliarden Euro als Rücklage für die Flüchtlinge in die Haushaltsplanungen einbuchen. Nur so hat er eine Chance, die schwarze Null auch im Wahljahr halten zu können. Der SPD kann das nicht gefallen, weil die Null als Erfolg der CDU und ihres solide wirtschaftenden Finanzministers beim Wähler ankäme. Logisch, dass Gabriel einen Teil des Überschusses für die SPD reklamieren will, in dem er ein Sozialpaket sowie mehr Investitionen fordert und darauf besteht, alle Vorhaben des Koalitionsvertrages umzusetzen.

Schäuble kann Gabriel allerdings nicht nachgeben, ohne sein eigenes Ziel zu gefährden. Das Dilemma ist schlicht: er oder Gabriel. Kommt er Gabriels Forderung nach, muss er den Überschuss, den er ins Jahr 2017 retten will, schon 2016 verplanen. Damit ist das Polster weg, auf dem die schwarze Null stehen soll

Der vergleichsweise einfachere Sparringspartner sind die Länder, die selbst Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet haben, aber mehr Geld vom Bund fordern. Für Schäuble ist das im Wesentlichen ärgerlich, weil er im vergangenen Herbst so großzügig Kosten übernommen hat, dass die Länderchefs überrascht waren.

Was also tun? Die bekannte Methode von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Erwartungen bewusst niedrig zu halten, um später großen Erfolg zu verkünden, ist Schäuble versperrt. Denn die CDU kann die schwarze Null nicht vorab aufgeben, um vielleicht im Wahljahr besser dazustehen - einfach weil Kanzlerin und Minister sie versprochen haben. Und auch, weil die Zahl in der aufgeheizten Stimmung wie ein letzter Damm wirkt. Bricht er, wächst nicht nur in Deutschland der Frust gegen Flüchtlinge weiter. Auch europäisch gesehen wäre die letzte Schulden-Bastion gefallen.

© SZ vom 08.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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