Kommentar:Der einzige Ausweg

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Ermittlungen wegen Insiderhandels, eine versaute Kommunikation, die gescheiterte Fusion und ein insgesamt gewaltiger Vertrauensverlust sind genug: Carsten Kengeter sollte zurücktreten, Aufsichtsratschef Joachim Faber auch.

Von Jan Willmroth

Es war Mitte Februar, als Carsten Kengeter erstmals diesen Satz sagte: "Insiderhandel widerspricht allem, wofür ich stehe." Da waren die Ermittlungen gegen den Chef der Deutschen Börse gerade seit zwei Wochen bekannt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Insiderhandel vor, weil er Ende 2015 als Teil eines Bonus-Programms Aktien des Börsenbetreibers kaufte, kurz bevor die Fusionsgespräche mit dem Londoner Konkurrenten LSE bekannt wurden. Auf der Hauptversammlung im Mai wiederholte er den Satz. Die Frage ist nur: Wenn Kengeter in der öffentlichen Wahrnehmung mittlerweile nicht für Insiderhandel steht, wofür denn dann?

Allein die Ermittlungen waren schon eine Katastrophe: Ein Börsenchef unter Insider-Verdacht, das ist wie ein Bankchef, dem Geldwäsche vorgeworfen wird; wie ein Wirtschaftsprüfer, der Bilanzen gefälscht haben soll. Zwar müsste auch der Chef einer Börse wegen eines solchen Verdachts nicht sofort gehen.

Börsenchef Kengeter sollte seine Fehler eingestehen und zurücktreten

Aber in diesem Fall ist eine Grenze erreicht. Die Summe der Fehler, Vorwürfe und Peinlichkeiten, seitdem Kengeter die Geschäfte in Eschborn führt, lässt nur noch einen Ausweg offen: Er und Aufsichtsratschef Joachim Faber, der für viele dieser Fehler mitverantwortlich ist und seinem Wunschkandidaten stets den Rücken stärkte, sollten ihre Posten räumen. Es wird ihnen nicht gelingen, das Vertrauen zurückzugewinnen, das sie als Chefs der Börse brauchen - als Chefs eines Konzerns mit hoheitlichen Aufgaben.

Heute, gut zwei Jahre nach seinem Amtsantritt, steht Carsten Kengeter für: einen mutmaßlichen Insiderhandel und den Vorwurf der Marktmanipulation, für einen großspurig angekündigten, irrsinnig teuren, aber kläglich gescheiterten Fusionsversuch - und für eine oftmals dilettantische Kommunikation mit der Öffentlichkeit, der Politik und dem Kapitalmarkt. Auch wenn die Zahlen in der Bilanz stimmen und sich der Aktienkurs in Kengeters Zeit gut entwickelt hat: Das ist für einen Vorstandschef der Deutschen Börse zu viel. Selbst wenn von den strafrechtlich relevanten Vorwürfen am Ende nicht viel übrig bliebe, wären Kengeter und Faber für immer beschädigt.

Wer noch einen Beweis dafür gesucht hat, dass die beiden den Konzern nicht mehr im Griff haben, bekam ihn vergangene Woche. Die Börse ließ per Pflichtmitteilung wissen, die Staatsanwaltschaft habe "in Aussicht gestellt", das Ermittlungsverfahren gegen Kengeter ohne Auflage einzustellen. Der zweifelhafte Anlass für die Mitteilung war ein Anhörungsschreiben an den Konzern. Darin fordern die Ermittler zwei Geldbußen von der Börse: eine wegen Insiderhandels (5,5 Millionen Euro), die zweite wegen Marktmanipulation, weil die Konzernspitze zu spät über die Fusionspläne mit der LSE informiert habe (fünf Millionen Euro).

Dumm nur, dass in diesem Brief von einer Einstellung gar nicht die Rede war. Darüber hatten die Staatsanwälte und Kengeters Verteidiger seit einiger Zeit nur mündlich verhandelt. Informationen über solche Gespräche, die nicht außergewöhnlich sind in Verfahren gegen Manager, gehören nicht in Pflichtmitteilungen. Das war - schon wieder - unfassbar: Ausgerechnet Europas größter Börsenbetreiber, der qua Gesetz reibungslose Abläufe an den Kapitalmärkten garantiert, vermasselt die Kapitalmarktkommunikation. Dies hat nun zu Recht die Finanzaufsicht Bafin auf den Plan gerufen.

Es ist gut möglich, dass die Börse mit ihrer überstürzten, unnötigen und fehlerhaften Mitteilung eine einvernehmliche Lösung mit der Staatsanwaltschaft verspielt - oder zumindest erschwert hat. Ein Kompromiss, bei dem der Konzern Bußgeld zahlt, während gegen den Hauptbeschuldigten nicht weiter ermittelt wird? Das wäre juristisch möglich und ließe sich sogar rechtfertigen. Aber es wäre der Öffentlichkeit nicht mehr zu vermitteln. Es sähe unweigerlich so aus, als hafte die Börse für die Fehler ihres Chefs. Es sähe aus, als ließen sich die Staatsanwälte auf Mauscheleien ein.

Dieser Eindruck darf auf keinen Fall entstehen. Die Staatsanwaltschaft täte gut daran, es auf ein Strafverfahren ankommen zu lassen - auch, weil Fälle von Insiderhandel generell zu selten aufgeklärt werden. Wenn Kengeter wirklich an seine Unschuld glaubt, wie er und die Börse stets betonen, kann er auch eine Anklage riskieren. Im Aufsichtsrat mehren sich die Zweifel, Kengeters Vertrag guten Gewissens über März 2018 hinaus verlängern zu können. Auch die hessische Börsenaufsicht im Wirtschaftsministerium zweifelt; sie könnte Kengeter schlimmstenfalls abberufen. Noch hat der Manager die Chance, seine Fehler einzugestehen und erhobenen Hauptes zu gehen.

© SZ vom 25.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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