Kommentar:Das Erbe einer zerrissenen SPD

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Der Kanzler versucht, die Union vorzuführen - und ignoriert die Kapitalismus-Kritik seiner Genossen. Nirgends ist dabei die Kluft, die in der SPD zwischen Anspruch und Handeln klafft, derart groß wie bei der Erbschaftsteuer.

Von Ulrich Schäfer

Das Bundeskabinett wird an diesem Mittwoch ein Gesetz verabschieden, das so ziemlich das Gegenteil dessen enthält, was die kapitalismus-kritischen Genossen fordern: "Große Erbschaften sollen stärker belastet werden."

So stand es im Leitantrag des SPD-Parteitags von Bochum, und weiter hinter fand sich der Hinweis, dass in den nächsten Jahrzehnten Erbschaften im Wert von zwei Billionen Euro zu erwarten seien - und man deshalb Erben höher besteuern wolle.

Im Gegenteil

Genau dies geschieht aber nicht. Im Gegenteil: Weil der Kanzler zeigen möchte, dass Agenda und Regierung noch nicht am Ende sind, lässt er den Finanzminister ein Gesetz vorlegen, das die Erbschaftsteuer für Firmen im Prinzip abschafft - und sie für alle anderen, auch für Erben großer Geld- und Grundvermögen, unverändert lässt.

Wer ein Unternehmen erbt, soll, wenn er es fortführt, jedes Jahr zehn Prozent der Steuerschuld erlassen bekommen. Wer die Jobs zehn Jahre erhält, zahlt schließlich nichts mehr.

Es ist schon seltsam: Franz Müntefering schimpft über Heuschrecken, die das Land abgrasen, und Gerhard Schröder gibt ihnen zusätzliches Futter.

Aus dem Vorrat der Union

Dieses Futter stibitzt er dabei aus dem Vorrat der Union. Er macht sich fast wörtlich einen Gesetzentwurf zu eigen, den das CSU-regierte Bayern entwickelt hat und die Union selber in Bundesrat und Bundestag einbringen will.

Er wischt dabei die Bedenken seines Finanzministers beiseite, der befürchtet, dass neue Steuerschlupflöcher entstehen. Schließlich könnten reiche Privatleute versucht sein, ihr Vermögen in eigens dafür gegründete Unternehmen einzubringen und es so dem Zugriff des Fiskus zu entziehen.

Dass der Kanzler die Erbschaftsteuer im März in seine Agenda-Rede gepackt hat, vermochte die SPD noch nicht zu irritieren. Schröders Vorstoß ging unter im Getöse des Jobgipfels und dem Entsetzen über den Heide-Mord von Kiel.

Die Partei müsste eigentlich empört sein

Vielleicht hatten die Genossen auch gehofft, dass Schröder die Bedenken seines Finanzministers und die von Eichels Länderkollegen ernst nehmen würde. Dass der Kanzler die Sache nun, um die Union vorzuführen, dennoch vorantreibt, müsste die Partei eigentlich empören.

Doch nur SPD-Linke murren vernehmlich. Alle andern scheuen angesichts der herannahenden Wahl in Nordrhein-Westfalen den Aufstand gegen eine Politik, die sich nicht an Parteitagsbeschlüsse hält.

Dabei gäbe es gute Gründe, private Vermögen in Deutschland höher zu belasten. In den angelsächsischen Horten des Kapitalismus, in den USA oder Großbritannien, sind die Steuern auf Grund- und Sachvermögen sowie Erbschaften zusammengenommen vier bis fünf mal so ergiebig wie in Deutschland.

Dass die Sozialdemokraten sich eine solche Debatte derzeit nicht zutrauen, zeigt ihre ganze innere Zerrissenheit zwischen Münteferings Kapitalismuskritik und Schröders Reformagenda.

© SZ vom 04.05.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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