Kommentar:Das Ende der Unfehlbarkeit

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Falsche politische Entscheidungen und Expansionsdrang kosten die TÜV-Konzerne viel Vertrauen.

Von Uwe Ritzer

Dienstag in Kornwestheim: Der Aufzug am Bahnhofsvorplatz sackt plötzlich ab. Ein 84 Jahre alter Mann und seine 78-jährige Frau werden verletzt. Eine Schweißnaht war gerissen. Dabei hatte der TÜV Süd den Aufzug erst vorigen Oktober kontrolliert. Ein paar Stunden nach dem Unglück, das noch glimpflich ausging, verhaften Ermittler in Brasilien zwei Mitarbeiter des TÜV Süd. Sie gehören zu dem Team, das jenen Damm an einer Eisenerzmine geprüft und für in Ordnung befunden hatte, der Ende voriger Woche gebrochen war. Dieses Unglück ging nicht glimpflich aus; mehr als 300 Menschen starben in einer Schlammlawine.

Noch ist nicht erwiesen, ob schlampige TÜV-Mitarbeiter mitschuldig sind an der Katastrophe. Verheerend für den Ruf des Münchner Prüfkonzerns ist der Fall aber schon jetzt. Auch weil sein Name nicht zum ersten Mal in anrüchigem Zusammenhang auftaucht. Schon bei den Betrugsskandalen mit angeblichen Wundermotoren in Blockheizkraftwerken in Nürnberg und mit Immobilien der Firma S&K in Frankfurt taten vom TÜV Süd verliehene Siegel Kriminellen hilfreiche Dienste dabei, viele Hundert Anleger über den Tisch zu ziehen.

Oder jenes Zertifikat für angeblich besonders sichere Internet-Einkaufsseiten, die in Wahrheit so mühelos zu knacken waren, dass Experten sich schlapp lachten. Dem TÜV Rheinland ging es kaum besser; sein Prüfsiegel vergab er für fehlerhafte Brustimplantate und jene achtstöckige Textilfabrik, die vor fast sechs Jahren in Bangladesch zusammenbrach.

Durch ihre Expansion haben die TÜV-Konzerne viel an Vertrauen eingebüßt

Juristisch gingen die Fälle meist ohne Schaden für die TÜV-Konzerne ab. Doch es geht bei alledem nicht nur um Schuld im rechtlichen Sinne. Es geht um Vertrauen in jene Institution, welche die Technischen Überwachungsvereine hierzulande einmal waren. Und Vertrauen ist ein Gefühl, kein Paragraf.

Allein das Kürzel TÜV war furchteinflößend und beruhigend zugleich, es stand fast für Unfehlbarkeit. Jeder Autofahrer weiß, wie hartnäckig (und kleinlich) TÜV-Prüfer sein können. Andererseits konnte man sich immer darauf verlassen: Was eine TÜV-Plakette trägt, funktioniert zuverlässig und ist im Normalfall sicher, weil es einer harten Überprüfung durch unbestechliche Experten standgehalten hat.

Dieser Nimbus ist dahin. Schuld daran sind zuvörderst nicht einzelne, schlampige Mitarbeiter, sondern die Expansions-Hybris von ehrgeizigen Managern und Eigentümern der TÜV-Konzerne. Seit dem politischen Kardinalfehler, den Prüfmarkt zu liberalisieren, dehnen sie Tätigkeitsfelder und Auslandsaktivitäten aus. Wachstum ist Selbstzweck geworden und wichtiger als das bodenständige, solide, vielleicht etwas langweiligere Kerngeschäft. Es ist aber auch zu verlockend: Die sprichwörtliche deutsche Gründlichkeit und Zuverlässigkeit in technischen Dingen genießen Weltruf - warum sie also nicht lukrativ exportieren?

Das Problem ist die Art und Weise der Expansion. Sie untergräbt den etwa vom TÜV Süd formulierten Anspruch, "mehr Sicherheit und mehr Wert" zu schaffen. Das TÜV-Siegel bekommt heute offenkundig schon, wer etwas nicht wirklich prüfen, sondern nur ein paar Unterlagen lesen lässt. Wie sonst käme es zu den schalen TÜV-Ausreden, man habe nicht selbst den Blockheizkraftwerk-Wundermotor oder die tatsächlichen Immobilienbestände der S&K geprüft, sondern Papiere darüber, welche die Firmen vorgelegt hätten. Wer so handelt und argumentiert, verspielt seine Glaubwürdigkeit.

Ähnlich rechtfertigt sich der TÜV Süd übrigens in Kornwestheim. Die Untersuchung der Schweißnähte des Aufzugs habe nicht zum Prüfumfang gehört, heißt es. Früher galt: Auf einen Aufzug, auf dem das TÜV-Wapperl klebt, ist Verlass.

© SZ vom 02.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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