Kommentar:Bündnis der Tölpelei

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Bei der Einführung der Lkw-Maut haben sich Politik und Wirtschaft gründlich blamiert.

Von Ulf Brychcy

(SZ vom 28.8.2003) - Ein Mautsystem für Lastkraftwagen soll es also in Deutschland geben. Hochmodern, vollelektronisch, bequem über Mobilfunk zu bedienen, für sämtliche Autobahnstrecken.

Etwas Besseres als die Mauthäuser etwa in Frankreich oder Italien, wo Bedienstete umständlich Geld kassieren oder die Kreditkarte entgegennehmen und dann erst die Sperrschranke öffnen.

Doch der Start wurde nach langem Streit verschoben, von diesem Sonntag auf Anfang November. Dabei hätte eigentlich nichts schief gehen dürfen. Schließlich hatte die Bundesregierung mit leistungsfähigen Konzernen ein neuartiges Bündnis geschlossen.

Die Mauttechnik liefern zwei der renommiertesten deutschen Unternehmen, Daimler-Chrysler und die Deutsche Telekom. Beide sind über ihre Gemeinschaftsfirma Toll Collect auch für den alltäglichen Betrieb zuständig.

Was deutscher Erfindergeist noch zu leisten vermag

Ein Milliardenauftrag im Dienst des Staates, der nicht nur schöne Gewinne verspricht. Die Konzerne wollten endlich wieder zeigen, was deutscher Ingenieurs- und Erfindergeist noch zu leisten vermag.

Für die rot-grüne Bundesregierung, die ja nachhaltige Akzente in der Verkehrspolitik setzen will, ist die streckenabhängige Autobahn-Maut ebenfalls ein Schlüsselprojekt.

Erstmals müssen die schweren Laster einen wesentlichen Teil der Wegekosten tragen, die sie auf den Autobahnen verursachen. Immerhin schädigt ein Lkw die Fahrbahn rund 60.000mal stärker als ein Personenauto. Erstmals werden auch ausländische Spediteure herangezogen, die das deutsche Autobahnnetz bisher als preiswerte Transitstrecke nutzen konnten.

Und doch ist bei diesem wichtigen Projekt nahezu alles schief gelaufen, was nur schief laufen konnte. Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) hat sich blamiert, auch die Unionsopposition und die Weltunternehmen Daimler-Chrysler und Deutsche Telekom sowieso. Sie haben, jeder für sich, ein ökologisch und volkswirtschaftlich sinnvolles Vorhaben schwer beschädigt.

Wunsch, nicht Wirklichkeit

Monatelang hatten Manager und Minister stets beteuert, dass bei der Maut alles nach Plan laufe, technisch und politisch. Dies war der Wunsch, nicht aber die Wirklichkeit.

Was als Modellfall für die Übertragung staatlicher Aufgaben an Wirtschaftsunternehmen angelegt war, hat sich bislang als ein Bündnis der Tölpelei erwiesen. Toll Collect ist es nicht rechtzeitig gelungen, gravierende technische Probleme in den Griff zu bekommen.

Ein erstes Gutachten, das im Auftrag des Bundesamtes für Güterverkehr erstellt wurde, kam zu einem vernichtenden Urteil: Die gesetzeskonforme, störungsfreie und die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigende Maut-Erhebung sei stark gefährdet.

Erst halb so viele Mautboxen eingebaut wie geplant

Erst 75.000 Mautboxen sind derzeit in den Lkw-Fahrerhäusern eingebaut, 150.000 sollten es eigentlich sein. Stolpe blieb kürzlich nichts anderes übrig, als den Betriebsbeginn um zwei Monate zu verschieben.

Doch die Pannen und damit die Unsicherheit halten an. Toll Collect ist schon seit zwei Wochen mit einer weiteren Expertise in Verzug, sogar ein Probestart am Sonntag steht deshalb auf der Kippe. All das erinnert mehr an einen unzuverlässigen Handwerker als an Technologiekonzerne.

Auch das Verkehrsministerium hat gepatzt

Doch auch im Verkehrsministerium wurde bei der Maut kräftig gepatzt. Stolpe hatte nicht nur die ablehnende Haltung der streitbaren EU-Kommissarin Loyola de Palacio fahrlässig unterschätzt. Toll Collect wurde von seinem Haus offenkundig nicht hinreichend kontrolliert, die Verträge sind stümperhaft ausgehandelt.

So kann das Ministerium Schadensersatzansprüche erst drei Monate nach Betriebsbeginn des Maut-Systems geltend machen. Dem Verkehrshaushalt fehlen dadurch bis zu 400 Millionen Euro, der Ausbau von Straßen und Schiene leidet darunter.

Und der fragile Kompromiss mit der EU ist gefährdet, weil sich Regierung und Union bei den Ausgleichszahlungen für deutsche Spediteure wieder gegenseitig blockieren wollen. Überall Sperrschranken, nur leider ohne Mauthäuser.

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