Kommentar:Altersvorsorge - Das Schweizer Modell

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Das kleine Nachbarland hat in Deutschland häufig Vorbildcharakter - momentan besonders bei der Altersvorsorge. Das dortige Drei-Säulen-Modell hat sich bewährt.

Von Thomas Kirchner

(SZ vom 05.08.2003) — Von der Schweiz ist wieder viel die Rede. Vor knapp zwei Jahren war das ähnlich. Damals jagten der Amoklauf von Zug und der Brand im Gotthardtunnel den Eidgenossen Angst ein, und die Pleite ihrer Swissair trieb ihnen die Schamesröte ins Gesicht.

Von Dauer war die Delle im Image indes nicht, längst hat die Schweiz zu ihrer alten Rolle zurückgefunden. Gerade die Deutschen sehen in ihr wieder jenes kleine Paradies, in dem vieles anders und manches besser gemacht wird.

Zum Beispiel bei der sozialen Sicherung. Ob Rente, Gesundheit oder Arbeitslosigkeit, auffallend oft wird die Schweiz in diesen Wochen als Vorbild genannt. Innovativer und weitsichtiger seien ihre Lösungen, heißt es, und man fragt sich: Wie schaffen die Schweizer das?

In der Altersvorsorge sind sie uns weit voraus. Die viel gepriesenen drei Säulen wurden Anfang der siebziger Jahre errichtet. Sie haben sich als solide und krisenfest erwiesen, weil sie die Risiken besser verteilen und nicht die ganze Last einer einzigen staatlichen Versicherung aufbürden.

Drei-Säulen-Modell

Die erste Säule, die das Existenzminimum im Alter garantiert, ist eine Bürgerversicherung: Alle zahlen ein, auch Beamte und Selbstständige. Weil diese Versicherung im Umlageverfahren zwischen Arbeitenden und Pensionären finanziert wird, bereitet die zunehmende Alterung der Bevölkerung zwar auch hier Probleme.

Sie sind aber leichter zu verkraften, schließlich ruht die Rente noch auf zwei weiteren Säulen, der beruflichen Vorsorge in Tausenden Pensionskassen sowie der steuerlich geförderten freiwilligen privaten Vorsorge.

Für Großverdiener ist die erste Säule schreiend ungerecht. Sie zahlen Beiträge gemäß ihres Einkommens und erhalten doch nur eine Maximalrente von derzeit 2110 Franken. Diese funktionale Ungleichheit wird akzeptiert, zumal es im Gesundheitssystem genau umgekehrt ist. Auch Millionäre bekommen die Grund-Krankenversicherung nahezu umsonst, ihre Prämie ist genauso hoch wie die eines Arbeiters.

Wieder handelt es sich hier um eine Bürgerversicherung, der sich niemand entziehen kann. Durch eine hohe Eigenbeteiligung oder den Verzicht auf freie Arztwahl lässt sich die Prämie allerdings um bis zu ein Drittel drücken. Dass die Gesundheitsausgaben trotz allem nur in den USA noch höher sind, liegt nicht an Fehlern im System, sondern daran, dass sich die Schweizer die teure Medizin eben leisten wollen.

Die Gesundheits-Pauschale wurde jüngst in einer Abstimmung bestätigt, denn man weiß um einen ihrer großen Vorteile: Sie verteuert die Arbeit nicht. Die niedrigen Lohnnebenkosten sind ein Grund für die mit vier Prozent traumhaft niedrige Schweizer Arbeitslosenquote. Zudem ist der Arbeitsmarkt weit flexibler als in Deutschland. Arbeitnehmer können rascher entlassen — und wieder eingestellt — werden.

Die Löhne sind elastischer und werden zunehmend auf Betriebsebene ausgehandelt. Mit einem relativ hohen Arbeitslosengeld, das aber zu strikten Bedingungen und nur etwas länger als ein Jahr gezahlt wird, lassen sich die meisten Erwerbslosen schnell wieder eingliedern.

Das Gemeinsame an diesen Regelungen ist offensichtlich. Das Schweizer Modell ist liberaler - es mutet dem Einzelnen mehr zu. Er muss sich selbst um seine Rente kümmern, er kennt den Preis seiner Gesundheit und kann ihn durch Vorsorge oder Sparmodelle senken, er muss sich rasch um einen neuen Job bemühen.

Das politische System der Schweiz, die direkte Demokratie, fördert die Eigenverantwortung, es fordert sie sogar. Die Bürger stimmen nicht nur über jedes neue Schulhaus ab, sondern auch darüber, wie viel Steuern sie zahlen und wofür diese ausgegeben werden. Hinzu kommt der ausgeprägte Föderalismus, der den Subsidiaritätsgedanken - möglichst viel selbst entscheiden - und den Wettbewerb stärkt: Es lohnt sich für die Appenzeller, seltener zu teuren Fachärzten zu gehen als die Genfer. Dafür zahlen sie halb so hohe Prämien.

Schweizer Erfolgsmodell historisch bedingt

Natürlich ist das Schweizer Erfolgsmodell auch historisch bedingt. Sozialpolitisch ist die Eidgenossenschaft eine verspätete Nation. Die Rentenversicherung kam 1948, gegen Arbeitslosigkeit ist man erst seit 1977 pflichtversichert. Politisch dominiert wurde das Land von bürgerlichen Parteien, die die Staatsquote niedrig hielten.

Das sozialdemokratische Jahrhundert hat die Schweiz weniger geprägt. Es fehlten die Brüche von 1918 und 1945, die Hungerjahre. Als später in Deutschland und Frankreich "das Füllhorn ergriffen" wurde, wie es der SPD-Politiker Peter Glotz ausdrückt, hielten sich die Schweizer zurück. Damals erschienen sie vielen als altmodisch, nun sind sie Vorbild.

Kopieren lässt sich ihr Modell wohl so wenig, wie es sinnvoll wäre, plötzlich die direkte Demokratie einzuführen, vor der man in Deutschland aus guten Gründen zurückschreckt. Dennoch lehrt der Blick über den Rhein mindestens zweierlei: Bürgerversicherung und Kopfprämie zielen in die richtige Richtung.

Warum nicht beides zusammen einführen, wie im Schweizer Gesundheitssystem? Und: Sozialsysteme scheinen besser zu funktionieren, wenn den Bürgern mehr zugetraut wird, wenn sie mehr Verantwortung für sich übernehmen können. Es gibt keinen Grund, warum das in Deutschland anders sein sollte.

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