Kommentar:Allzu durchsichtig

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(Foto: SZ)

Seit 20 Jahren surfen die Menschen im Internet. Doch mit der Transparenz im Netz ist es nicht weit her.

Von Michael Kuntz

Seit zwei Jahrzehnten bestimmt nun das Internet den Alltag der Menschen. Es eröffnete neue Möglichkeiten und alle haben sich daran gewöhnt. Für Teens und Twens ist es wie eine Stunde im Geschichtsunterricht, wenn Eltern und Großeltern davon erzählen, wie sie abends zum Briefkasten hechteten, um noch dessen letzte Leerung zu erwischen, damit die Schnecken-Mail ihren Empfänger bereits am kommenden Tag erreicht. Heute reicht ein Knopfdruck, was ein Vorteil ist, aber auch Nachteile besitzt. Weil es so einfach geworden ist, setzen die Ängstlichen und Eifrigen gleich noch ein Dutzend weitere Empfänger in den Verteiler. Schließlich sollen ja alle gut informiert werden.

Der Zugang zu früher nur zeitaufwendig, teuer oder überhaupt nicht erhältlichen Informationen schuf diesen Mythos der vollständigen Transparenz, den das Internet bis heute umgibt. Viele Menschen glauben fest an alles, was sie suchen und finden, es steht ja im Netz. Schon weniger Menschen beherrschen es, zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen zu unterscheiden oder wenigstens eine Suchmaschine so einzustellen, dass nicht uraltes Material den Blick auf das Neue verstellt.

Es findet eine Art Preis-Striptease statt

Wie hilflos selbst die Experten der IT-Industrie im Umgang mit den Auswüchsen ihrer Erfindung sind zeigt, dass sie zwar ständig die Welt mit neuesten Gerätschaften beeindrucken, aber seit nun ebenfalls zwei Jahrzehnten weder in der Lage sind, die Befüllung des Netzes mit dem Spam genannten Datenschrott zu verhindern, noch Attacken böswilliger Versender von Viren erfolgreich abzuwehren. Wenn das nicht mal den Fachleuten gelingt, was ist dann erst von Usern zu erwarten, die Laptop, iPhone oder Tablet einfach nur begeistert nutzen wollen, ohne jeden Schritt dabei zu hinterfragen. Erst deren Mischung aus Euphorie für das irgendwie immer neue Medium und ihre mangelnden Fähigkeiten bei seiner sinnvollen Nutzung ermöglichen den aktuellen Trend, der Transparenz verspricht und genau das Gegenteil bewirkt.

Wer in diesen Sommertagen einen Flug bucht, erfährt sofort am eigenen Leib, was gemeint ist. Nachdem nun auch die großen Airlines ihre Tarifsysteme denen der Billigflieger angeglichen haben, ist der Kampf um die vorderen Plätze auf den Ranglisten der Vergleichsportale mit neuer Schärfe entbrannt. Es findet eine Art Preis-Striptease statt, bei dem ein scheinbar günstiger Grundpreis ausgewiesen wird, der auf der ersten Seite angezeigt wird. Auf den weiteren Seiten von Vergleichsportalen verschwindet ein Anbieter schnell in der Versenkung. Erst bei genauerer Betrachtung kommen nun zum Grundpreis - früher inkludierte - diverse Zusatzleistungen. Sie werden separat berechnet, und das mit einer immer größeren Dreistigkeit. So gilt es inzwischen als branchenüblich, dass ein Konsument sich erst gegen Gebühr eine Kreditkarte ausstellen lässt und wenn er dann damit bezahlen will, erneut abkassiert wird. Von schwer durchschaubaren Regelungen für Kabinenkoffer, Computertaschen, Kleidersäcken und Reisekoffern gar nicht erst zu reden. Eine ganze Industrie ordnet sich gerade dem Diktat des Internets unter. Wo liegt da der Vorteil?

Angeblich will der Kunde nun auch beim Reisen in Flugzeugen nur noch für Leistungen bezahlen, die er aktuell in Anspruch nimmt. Totale Transparenz eben. Es wird sich zeigen, ob das wirklich so ist. Eine Dienstleistung wie das Fliegen ist mehr als der Transport von A nach B. Eine Dienstleistung besteht schließlich aus mehr als ihrem Preis. Da gehen Menschen miteinander um - mal nett, mal eher ungelenk. Das bildet kein Vergleichsportal im Internet ab. Das reale Leben ist eben nicht programmierbar.

© SZ vom 14.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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