Kolumne:Regulier mich!

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An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Alina Fichter und Ulrich Schäfer im Wechsel. Illustration: SZ (Foto: N/A)

Die meisten Kreativen in Silicon Valley hielten bislang wenig von Europa. Doch das ändert sich.

Von Alina Fichter

Der Satz, den Hugh Dubberly sagt, ist ein Skandal: "Ohne Europa gerät das Silicon Valley außer Kontrolle." Die US-Regierung werde die hier ansässigen Tech-Firmen niemals regulieren; dafür sei man auf die EU angewiesen. Als die Worte gefallen sind, sieht man sich verstohlen in Dubberlys Büro um, das mitten in der Technologie-Hauptstadt San Francisco liegt. Gibt es jetzt gleich Ärger? Das, was er sagt, widerspricht allem, woran das Silicon-Valley-Volk glaubt.

Dubberly ist Chef einer Beratungsagentur, er ist 59 Jahre alt und gehört zu den Alteingesessenen, die einige der großen Entwicklungen mitgestaltet haben. Den ersten Internetbrowser von Netscape etwa und das Design der frühen Apple-Produkte. Er ist außerdem einer der wenigen Intellektuellen, die das Tal hervorgebracht hat, das für Tech berühmt ist, nicht für denkerische Tiefe.

Heute berät Dubberly Tech-Firmen. Viele der Chefs glauben, die Erde drehe sich um das Silicon Valley und ganz besonders um ihr eigenes, revolutionäres Produkt, das - Moment mal! - ganz einfach zu erklären sei, jetzt gleich, hier auf dieser Serviette. Und selbstverständlich seien sie auf niemanden angewiesen, davon sind diese Chefs überzeugt. Schon gar nicht auf das innovationsfeindliche Europa.

Dubberly ist Teil des Valley-Volks, und doch sieht er das mit Europa ganz anders. Er findet es sinnvoll, dass EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager das soziale Netzwerk Facebook vor Kurzem zu 110 Millionen Euro Strafe verdonnert hat, weil es in wichtigen wettbewerbsrechtlichen Fragen gelogen hatte, als es den Chatdienst Whatsapp übernahm. Mit seiner Meinung steht Dubberly in San Francisco allein da.

Aber er widerspricht auch den deutschen Kritikern, die sich, kaum war das Urteil gefallen, empörten, die Strafe sei zu niedrig ausgefallen. Tatsächlich hat Facebook vor drei Jahren die 170-fache Summe locker gemacht, um Whatsapp zu kaufen. Und die Strafe hätte rein rechtlich doppelt so hoch ausfallen können.

Aber das sei nebensächlich, findet Dubberly. Viel wichtiger sei: Facebook und Google wüssten nun, dass sie sich nicht alles erlauben können. Es ist nicht das erste Mal, dass Vestager den globalen Tech-Größen Kontra gibt. Sie geht auch gegen Google vor, in drei verschiedenen Verfahren. Und kein anderes Land setzt sich so entschlossen gegen die Verbreitung von Fake News zur Wehr wie Deutschland: Im Frühling erließ Bundesjustizminister Heiko Maas ein Gesetz, das von sozialen Netzwerken verlangt, offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Sonst droht eine 50-Millionen-Euro-Strafe.

Dubberly kennt die Chefs der Valley-Konzerne. Und er kennt deren Maschinenräume. Er hört die Produktdesigner, die darin arbeiten, nun häufig fragen: "Wenn ich das so baue, regen sich die Europäer dann wieder auf? Dann gestalte ich es lieber um." Die Urteile im fernen Europa gelten zwar oft nicht auf dem amerikanischen Markt; Facebook etwa muss Fake News nur in Deutschland so rasch löschen. Und die Geldstrafen mögen den hypererfolgreichen Unternehmen nicht sonderlich wehtun. Aber Führungskräfte im Silicon Valley beobachten die Maßnahmen sehr genau. Sie diskutieren über EU-Gesetze und ganz besonders über den EU-Datenschutz. Und die Veränderung in den Köpfen werde sich zunehmend in Produkten widerspiegeln, sagt Dubberly: "Auch das ist Macht." Europäische Macht über amerikanische Firmen: "Das solltet ihr nicht unterschätzen."

"Regierungen müssen die Bedingungen dafür schaffen, dass der Markt funktioniert."

Die amerikanische Regierung hat nichts Vergleichbares unternommen. Es geschieht sogar das Gegenteil: In Amerika sind es die zehn größten Tech-Konzerne des Landes, angeführt von Facebook, Google und Amazon, die die US-Gesetzgeber gerade in einem Brief dazu aufgefordert haben, die Nationale Sicherheitsbehörde NSA so zu reformieren, dass sie künftig weniger Daten sammle - denn es sind auch Daten der Tech-Firmen und von deren Nutzern darunter. Man kann an dieser Stelle leicht durcheinandergeraten, deshalb noch einmal: Tech-Konzerne, die andernorts für ihren Datenhunger bestraft werden, wollen den Datenhunger der US-Regierung bremsen. Nicht umgekehrt.

Hubberly ist im Silicon Valley als Designer groß geworden, an einem Ort also, an dem das Selbstverständnis herrscht, man könne alle Probleme der Welt auf diesem 200 Kilometer langen Landstrich lösen. Und nun bittet er den alten Kontinent, den die meisten hier für abgehängt halten, um Hilfe. Von der Regierung in Washington sei nichts zu erwarten, sagt Dubberly, und je tiefer man in den Westen der USA vordringe, desto verpönter sei der Begriff Regulierung. Aber das sei hochproblematisch: "Es ist unwahrscheinlich, dass ein gänzlich unreguliertes System dauerhaft stabil ist. Regierungen müssen die Bedingungen dafür schaffen, dass der Technologie-Markt funktioniert", sagt er. Sonst entstehen Monopole - und Verbraucher müssen auf einen Service verzichten, wenn ihnen die Nutzungsbedingungen des einzigen relevanten Anbieters missfallen.

In den Achtzigerjahren hat Dubberly für Apple Videos produziert, die damals das Heute vorhersagten. Sprachassistenten für jedermann, zum Beispiel. Die Entwickler von Siri behaupten, die Videos hätten sie zur Entwicklung des Dienstes inspiriert. Dubberlys Vorstellung von der Zukunft hat die Gegenwart geformt.

Er glaubt, es sei jetzt wieder an der Zeit, solche Kurzfilme zu drehen: Videos, die vorhersagen, wie Menschen leben werden, wenn sie erst gläsern geworden sind - für jeden durchschaubar, weil ihre persönlichen Daten gesammelt und weiterverkauft worden sind. Er hofft, dass Nutzer dann Druck auszuüben beginnen. Und Europa in diesem Bewusstsein noch mehr unternimmt.

© SZ vom 31.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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