Kolumne: China Valley:Smog lass nach

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An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Christoph Giesen (Peking), Marc Beise (München), Karoline Meta Beisel (Brüssel), Helmut Martin-Jung (München) und Jürgen Schmieder (Los Angeles) im Wechsel. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Der Siegeszug des Elektrorollers begann in China schon vor mehr als 15 Jahren. In anderen Teilen der Welt dominieren noch die Verbrenner. Ein Hersteller aus Peking will das nun ändern und mit seinen E-Fahrzeugen den Weltmarkt aufrollen.

Von Christoph Giesen

Auf einmal waren die U-Bahnen verwaist, die Busse blieben leer und viele der sonst so quirligen Restaurants in Peking, Shanghai oder Hongkong mussten dicht machen, weil keine Gäste mehr kamen. Vor 16 Jahren, im Winter 2003, fiel China in einen tiefen Schlaf, weite Teile des öffentliche Leben erstarrten. Im November 2002 hatte es angefangen, erst in Südchina, dann überall in der gesamten Volksrepublik. Selbst bis ins ferne Kanada breitete sich damals die Lungenseuche SARS aus. Tausende erkrankten, Hunderte starben. Die Angst, sich anzustecken, lähmte das Land. Auf den Weg zur Arbeit machten sich die meisten Chinesen dennoch - allerdings mit einem anderem Fortbewegungsmittel als zuvor.

Statt die U-Bahn oder den Bus zu nehmen, kauften sich viele damals einen Elektroroller. Eilig umgebaute Fahrräder, ausgestattet mit wuchtigen Akkus, deren Reichweite schon nach wenigen Kilometern erschöpft war. Einmal zum Arbeitsplatz und zurück, mehr war nicht drin. In Fahrradläden, aber auch in etlichen Supermärkten konnte man die Roller plötzlich kaufen, und - weiß der Himmel wieso - fast alle waren sie mit elendig quietschenden Bowdenzugbremsen ausgestattet. Die "E-Esel", wie viele Chinesen ihre Räder liebevoll nannten, waren nicht zu überhören - bis heute.

Die Pandemie ist längst überwunden, der chinesische Elektroroller-Boom hat aber überdauert, und nun schickt sich ein Unternehmen aus Peking an, den Weltmarkt aufzurollen.

Li Yan empfängt in der Zentrale des Rollerbauers Niu. Er ist der Vorstandschef, Anfang 2016 stieß er zum Unternehmen, um die Strukturen zu professionalisieren. Der Firmengründer ist inzwischen sein Stellvertreter. Hu Yilin, den alle nur Token rufen, ist ein Pionier der Elektromoped-Szene, ein Hobbyschrauber mit einer großen Idee. Im Unterschied zu Li, der in Stanford in Elektrotechnik promoviert hat, tat sich Token mit der Schule schwer. Nach der achten Klasse war Schluss. Li wiederum hat nach dem Studium in den USA für ein Investmenthaus in Peking gearbeitet und Start-ups unter die Lupe genommen. Finanzieren? Oder die Finger weg lassen? Bei Niu war er sich sicher und stieg selbst ein.

Eine halbe Million Roller verkauft das Unternehmen inzwischen pro Jahr. Hastig zusammengeschraubt ist keiner, man konkurriert immerhin mit Firmen wie Piaggio. Wer einen Niu-Roller kauft, kann eine App herunterladen, hunderte Sensoren überwachen die Maschine. Auch an neuen Geschäftsmodellen werkeln sie hier. Es geht nicht nur um Roller, sondern um den innerstädtischen Verkehr der Zukunft.

Im vergangenen Herbst ist Niu in New York an die Börse gegangen und nun an der Technologiebörse Nasdaq gelistet. Warum so eilig? "Für uns ging es vor allem darum, Vertrauen zu bilden", sagt Li. "Wir expandieren, bei einem Start-up haben sich viele Händler die Frage gestellt, was passiert, wenn die Firma Insolvenz anmelden muss. Bei einem Nasdaq-Unternehmen hat diese Sorge fast keiner mehr." Ein Börsengang in China kam, wie für die meisten Start-ups, nicht infrage. Das chinesische Aktienrecht verlangt, dass Unternehmen mindestens drei Jahre am Stück profitabel sind. Bei Niu gelang das im vergangenen Quartal zum ersten Mal.

In Indien und Südostasien tut sich Niu schwer. Dort sind noch große Geschäfte möglich

Dennoch erhält Niu Unterstützung in China, und zwar von der Politik. Die Führung in Peking treibt den Ausbau der Elektromobilität massiv voran. Seit Anfang 2019 gilt eine verpflichtende Elektroquote für sämtliche Autohersteller in der Volksrepublik. Volkswagen zum Beispiel muss in diesem Jahr etwa 75 000 Elektroautos herstellen, um die Quote zu erfüllen. In den großen Städten sind Elektroautos für viele Kunden eine Alternative, um überhaupt voranzukommen: In Peking etwa werden Zulassungen für Verbrennerautos nur noch verlost. In Shanghai wiederum werden die Nummernschilder versteigert, manchmal zahlt man den Preis eines Neuwagens für eine Plakette.

Auf dem chinesischen Motorradmarkt dominieren längst die E-Fahrzeuge: 30 Millionen Elektromaschinen und sechs Millionen klassische Motorräder werden pro Jahr in der Volksrepublik abgesetzt. Für Verbrenner sind die Nummernschilder rar, bei Elektrorollern gab es lange Zeit keine Beschränkungen. Nun gibt es zwar neue Auflagen, aber von denen profitiert Niu am stärksten. Das Gesetz sieht vor, dass Räder künftig nur noch 55 Kilogramm wiegen dürfen. Maschinen von Billigherstellern, die auf alte Batterietechnik setzen, sind meist schwerer. Ohnehin halten deren Akkus allenfalls ein, zwei Jahre und sind danach eine Umweltsauerei, solange sie nicht fachgerecht entsorgt werden (was in China leider oft vorkommt). "Unsere Batterien kann man fünf Jahre lang nutzen", sagt Li. Das hat allerdings seinen Preis. Die Akkus sind mit Abstand das teuerste Bauteil und der Hauptgrund, weshalb Niu sich in Indien und Südostasien noch schwer tut.

Genau dort aber sind große Geschäfte möglich. Während sich in Europa nur wenige Menschen aufs Motorrad schwingen, knattern in Indonesien, Vietnam oder Malaysia Millionen Mopeds durch die Städte. 20 Millionen Räder werden jährlich in Südostasien verkauft, ausgerüstet meist mit Zweitakt-Verbrennern, die einen großen Teil des Smogs verursachen. Die Zahl der Elektroroller findet sich allenfalls in den Nachkommastellen der Statistik. Drei von vier Maschinen in Vietnam und Indonesien stammen vom japanischen Hersteller Honda, der auch auf Verbrenner setzt. Ähnlich sieht es in Indien aus: 24 Millionen Neuzulassungen, kaum E-Roller. Aus Sicht des Niu-Chefs ist das aber kein Problem. "Das ändert sich gerade", sagt Li Yan. "Die indische Regierung subventioniert den Kauf."

© SZ vom 23.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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