"Kleine Ehefrauen":Der Jäger der Konkubinen

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Schanghais Geschäftsleute fürchten Wei Wujun. Als einer der ersten Privatdetektive Chinas spürt Wei einer scheuen Spezies nach: Ehebrechern.

Janis Vougioukas

Wei Wujun hat Motor und Licht seines Wagens ausgeschaltet und wartet. Es ist früher Freitagabend, langsam kommen die ersten Gäste. Wei will nicht erkannt werden. Er beobachtet den Eingang von einer Seitenstraße aus.

Teures Präsent unter Geschäftsfreunden: Eine mit Designermöbeln vollausgestattete Wohnung samt junger Konkubine. (Foto: Foto: AP)

Männer in dunklen Anzügen betreten das Gebäude, eine Shoppingmall, neben den Kleiderständen führt ein Aufzug nach oben, im vierten Stock liegt der Karaokeclub LA Disco, einer der teuersten und exklusivsten Clubs der Stadt.

"Hunderte Mädchen arbeiten da", sagt Wei. Und als die Geschäftsleute nach ein paar Stunden wieder herauskommen und Taxis herbeiwinken, halten viele ein Mädchen im Arm.

Doch Wei hat heute Abend nicht gesehen, was er wollte; mehrmals hat er die Kamera vor das Gesicht gehalten, aber seine Zielperson konnte er nicht entdecken.

Zehntausende Karaokeclubs mit privaten Separees gibt es inzwischen in Schanghai, doch kaum ein Besucher kommt aus Liebe zur Musik:

Nebenfrauen sind unverzichtbares Statussymbol

Fast alle Etablissements beschäftigen Animierdamen. "Hier finden Chinas Geschäftsleute ihre Konkubinen", sagt Wei.

Für Chinas neureiche Unternehmer sind junge Nebenfrauen inzwischen zu einem unverzichtbaren Statussymbol geworden. Sie nennen Wei Wujun den "Konkubinen-Killer".

Die Kamera ist auf das Bett gerichtet, ein breiter Rahmen aus dunklem Holz in der hinteren Zimmerecke, darauf eine Bambusmatte. Die Uhr rechts unten im Bildschirm zeigt 22:17 Uhr, als ein Paar das Zimmer betritt.

Das Mädchen, keine zwanzig Jahre alt, trägt eine cremefarbene Hose und ein hellblaues Hemd. Vor ihr geht ein älterer Herr in dunkler Kleidung, auf dem Arm trägt er ein paar Schuhkartons, mehrmals klingelt sein Handy. Offenbar ist er Geschäftsmann.

Der Mann zieht sich bis auf die Schlabberunterhose aus. Sie küssen sich, duschen, legen sich ins Bett. Dann schaltet er das Licht aus, und das Bild wird schwarz. "Das war der Augenblick, in dem wir gekommen sind", sagt Wei Wujun. Er lächelt.

Es war sein Moment. Er hatte die Kamera am Vormittag heimlich im Kabelschacht der Klimaanlage versteckt und den Sender montiert. Sie warteten draußen, und als das Licht ausging, traten sie die Wohnungstür auf und standen plötzlich im Schlafzimmer. Der Geschäftsmann sah Wei an, die große Gestalt in schwarzer Lederjacke mit Baseballmütze auf dem rundlichen Kopf.

Hinter Wei stand die Frau des Unternehmers - sie mussten nicht lange reden. Noch in derselben Nacht, bekleidet nur mit der Unterhose, unterschrieb er die Dokumente, die seiner betrogenen Gattin die Schuhfabrik übereigneten.

Wei hat die Videokassette behalten, wie eine Jagdtrophäe. "Die Männer hassen mich", sagt er. Es scheint ihn nicht zu stören. Wei Wujun ist Privatdetektiv, einer der ersten des Landes. Er verhilft Chinas betrogenen Ehefrauen zu ihrem Recht. Das heißt fast immer: Geld. Schmerzensgeld, das sie mit seinen Beweisfotos vor Gericht bekommen.

Der Schanghaier Schuhunternehmer, den er in flagranti filmte, kam nur an den Wochenenden nach Hause. Die meiste Zeit verbrachte er mit seiner Konkubine, einer Tellerwäscherin aus der Armenprovinz Anhui. Ein Standardfall für Wei, einer auf der langen Liste der 1.500 Ehebrecher, die er inzwischen überführt hat.

"Die Männer hassen mich"

Wei sitzt im Arbeitszimmer in seiner Wohnung im Schanghaier Stadtviertel Minhang. Die Jalousien sind heruntergelassen. Rauchwolken treiben durch den Lichtkegel der Schreibtischlampe. Es sieht aus wie in einem alten amerikanischen Detektivfilm.

"Chinas Wirtschaft entwickelt sich schnell, unsere Einstellungen verändern sich jeden Tag", sagt Wei. Er ist nicht gegen den Aufschwung. Aber er findet, dass China seine Werte verloren hat, und Geld bei vielen Menschen an die Stelle der Familie getreten ist. Wer reich sei, kaufe sich in China, was er wolle - inklusive Frauen.

Wei ist 53 Jahre alt, er hat große, leicht abstehende Ohren mit langen Läppchen, die sich noch einmal weit vom Gesicht wegwölben. Über der hohen Stirn liegen lange, unfrisiert aufgehäufte Haare. Wei trägt fast immer eine Schirmmütze, denn er findet, dass er Chinas Revolutionär Mao Zedong sonst zu ähnlich sieht.

Und in China wird man so sofort wiedererkannt. Drei Jahre lernte er an der Heeresakademie im nordostchinesischen Jinan. Er war Stabsoffizier, verantwortlich für Aufklärung in Weihai. Später verbrachte er drei Jahre im Gefängnis, weil er ohne Genehmigung Waffen in seiner Wohnung aufbewahrt hatte.

Nach seiner Entlassung wurde er Journalist in Chinas Mafiahochburg Shenzhen. Als einer der ersten Detektive Chinas hatte Wei nie die Möglichkeit, das Handwerkszeug offiziell zu lernen. Aber eine bessere Vorbereitung kann man kaum bekommen.

Weis Kampf gegen die Untreue begann vor 13 Jahren. An einem Nachmittag, es war ein Montag. Er hatte den Tag mit einem Freund verbracht. Auf dem Rückweg nach Hause kaufte er sich eine Zeitung. Darin sah er einen Artikel über Privatdetektive.

Wei hatte Sherlock Holmes gelesen, amerikanische Detektivserien im Fernsehen gesehen. Und er dachte: Dieser Beruf- was für eine Herausforderung. Jeder Tag anders. Jede Aufgabe verlangt andere Fähigkeiten.

Wei kündigte am nächsten Tag und kaufte sich ein Flugticket in die westchinesische Provinzhauptstadt Chengdu. Er fuhr mit dem Taxi zum Gewerbeaufsichtsamt und meldete eine neue Firma an, die "Chengdu Qingyang Distrikt allgemeine Zivilermittlungsfirma": Chinas erste amtlich registrierte Privatdetektei.

"Kleine Ehefrauen" nebst der Familie

Er bekam eine Urkunde mit roten Stempeln und der Zulassungsnummer 0101724. Er mietete zwei Hotelzimmer neben dem Gerichtsgebäude, und nach vier Tagen hatte er seinen ersten Fall. Wei observierte zehn Tage, stellte Fallen, es gab Verfolgungsjagden auf Fahrrädern. Es war aufregend.

Er ist ein wenig enttäuscht, dass er heute vor allem Ehebrecher jagt. Jahrhundertelang waren junge Geliebte in China ein Statussymbol, und die Mächtigen sammelten sie wie lebendige Kunstwerke. Zur Kaiserzeit gehörte es für reiche Händler dazu, "kleine Ehefrauen" neben ihren Familien zu unterhalten.

Fast 60 Jahre nach der Revolution gehören die Konkubinen wieder zum chinesischen Leben. Zehntausende Karaokepaläste, Animierbars und Massagesalons überziehen die reiche chinesische Ostküste. Und die Zweitfrauen sind in alle Gesellschaftsbereiche vorgedrungen.

Vor zwei Jahren berichteten die chinesischen Zeitungen von der Hinrichtung eines Bankmanagers in der südwestchinesischen Provinz Sichuan. Das Gericht hatte den 37-Jährigen zum Tode verurteilt, weil er Ersparnisse im Wert von vier Millionen Yuan geklaut hatte.

Designermöbel und eine jungen Konkubine

Er habe das Geld ausgegeben, um seine acht Nebenfrauen zu finanzieren, schrieben die Zeitungen. In derselben Provinz ließ der Manager einer Staatsfirma sich von Geschäftsfreunden eine Wohnung schenken: voll ausgestattet mit Designermöbeln und einer jungen Konkubine. In Shenzhen im Süden gibt es ganze Stadtteile, die ausschließlich von jungen Zweitfrauen bevölkert werden.

Die Stadt Nanjing befahl allen Beamten, ihre außerehelichen Beziehungen offenzulegen, um Korruption und Vetternwirtschaft einzudämmen, die mit dem Konkubinensystem Hand in Hand gehen. "Ein Unternehmer muss in China eine Geliebte haben, sonst glaubt ihm niemand seinen Erfolg", sagt Wei.

Er selber ist inzwischen geschieden, es ist eine lange Geschichte, über die er nicht gerne spricht. Aber im Geldbeutel trägt er ein Foto seiner jetzigen "kleinen Freundin", wie er sie nennt. Er hat viele von ihnen, sie wechseln häufig, der Abenteurercharme des Detektivberufs lockt die Mädchen an.

"Alle meine Freundinnen sind jünger als meine Tochter", sagt jener Mann nicht ohne Stolz, den chinesische Medien immer nur den Konkubinen-Killer nennen.

© SZ vom 18.08.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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