Kirchen in Geldnot:Gotteshäusern droht der Abriss

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Deutschlands Kirchen sind die größten nichtstaatlichen Immobilienbesitzer. Doch gerade das macht manches schwieriger.

Matthias Drobinski

(SZ vom 03.07.2003) — Sie steht noch. Gelb verputzt, gebaut aus dem Bröckelbeton der fünfziger Jahre, der Turm hält ein Kreuz hoch; den Hochhäusern des Frankfurter Westends reicht es nicht einmal bis an die Hüften.

600 Sitzplätze hat die evangelische Matthäuskirche zwischen Bahnhof und Messeturm, auch an Feiertagen bleiben die meisten leer - die Büros haben die Menschen aus dem Viertel verdrängt.

So hatte sich der evangelische Regionalverband entschlossen, die Kirche zu verkaufen und abreißen zu lassen: 30 Millionen Euro könnte das bringen, hofft der Regionalverband. Ohnehin müsse die Kirche über kurz oder lang jede zweite Immobilie in der Stadt abstoßen, weil statt einst 400.000 Protestanten nur noch 160.000 evangelische Christen in Frankfurt wohnen.

Ungewollt: die Nachkriegskirchen

Doch der Widerstand ist heftig: Kann die Kirche das Gebäude aufgeben, das da markant zwischen den Kathedralen des Geldes steht? Und so trotzt das hässliche Kirchlein bis heute der Abrissbirne.

Ein Konflikt, wie es ihn mittlerweile an vielen Orten gibt: Den Kirchen mit schrumpfenden Gemeinden und wachsender Finanznot werden die Gotteshäuser zu teuer.

Im Osten sowieso. Aber auch die evangelische Kirche in Hamburg will sich von Kirchen trennen, wie das katholische Bistum Aachen; selbst das reiche Erzbistum Köln hat eine Projektgruppe eingesetzt, die Wege finden soll, "wie mittelfristig der Gebäudestand der rund 750 Kirchengemeinden abgebaut werden kann". Das klamme Erzbistum Berlin will gar 97 Gotteshäuser verkaufen und notfalls abreißen.

Die Kirchen sind die größten nichtstaatlichen Immobilienbesitzer, was aber weniger Quelle des Reichtums ist: Die Gebäude müssen geheizt werden, saniert, renoviert. "Das überfordert gerade die Kirchen in den Städten", sagt Annegret Reiz-Dinse vom der Arbeitsstelle "Kirche und Stadt" an der Universität Hamburg.

Allein in Hamburg seien "seit dem Zweiten Weltkrieg mehr evangelische Kirchen gebaut worden als seit der Reformation bis zum Krieg - und das bei sinkenden Mitgliederzahlen". Weshalb es, "wenn man sensibel vorgeht", kein Problem sei, sich wieder von Kirchen zu trennen.

Gerade die Nachkriegskirchen, oft schnell und billig gebaut, sind heute bedroht.

Angst vor der Zweckentfremdung

Allerdings kann man eine Kirche nicht einfach an den nächsten Disco-Besitzer verkaufen. Das Erzbistum Berlin bietet deshalb die Kirchen erst anderen christlichen Gemeinschaften wie der orthodoxen Kirche an; der Bedarf ist aber begrenzt.

Bevor Gotteshäuser spektakulär zweckentfremdet werden, will man sie lieber abreißen und die blanken Grundstücke verkaufen. Anderswo entscheidet man sich eher für den Erhalt des Gebäudes: Die Spandauer Luther-Kirche beherbergt jetzt Sozialwohnungen, in einer Kirche in Brandenburg hat die Sparkasse ihre Schalter.

Allerdings zahlen die Kirchen einen hohen Preis: Sie verlieren das markanteste Gebäude im Dorf, im Viertel, in der Stadt. Weshalb Matthias Ludwig vom evangelischen Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart in Marburg gegen den Abriss ist: Es sei sinnvoller, ein Gemeindezentrum aufzugeben und die Kirche als Sakralgebäude zu erhalten, ein Konzept für eine City-Kirche für Passanten zu entwickeln. "Was weg ist, ist weg", sagt er, "doch Kirchengebäude sind auch vielen Nichtchristen eine Heimat - das sollten wir wissen."

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