Auf sein jugendliches Erscheinungsbild hat Thomas Middelhoff stets Wert gelegt. Das mag eine Rolle spielen, als sich der einstige Chef der Konzerne Bertelsmann und Arcandor an diesem Dienstag vor dem Oberlandesgericht München in seinem Alter irrt. Er sei 53, gibt Middelhoff mit fester Stimme an. "Nein, Jahrgang 1953", korrigiert er sich rasch. Also sei er 54 Jahre alt. Gelächter auf der Richterbank, Gemurmel im Zuschauerraum. Darauf schließlich Middelhoff, richtig: "Ich bin 58." Es ist nicht diese Episode, weshalb es später um die Glaubwürdigkeit Middelhoffs geht. Aber symbolisch ist Szene schon für den Auftritt des gefallenen Top-Managers.
Middelhoff ist nicht in eigener Sache vor Gericht erschienen, wie noch vor wenigen Wochen in Essen, als es um seine Rolle bei der Pleite des Handelskonzerns Arcandor ging. Nein, der Manager soll als Zeuge in dem Prozess aussagen, den der Münchner Medienunternehmer Leo Kirch gegen die Deutsche Bank und ihren früheren Chef Rolf Breuer führt. Mindestens zwei Milliarden Euro Schadenersatz will Kirch von der Bank und Breuer, weil der frühere Vorstandssprecher in einem Interview indirekt Zweifel an Kirchs Kreditwürdigkeit geäußert hatte.
Treffpunkt Restaurant "Wiechmann"
Middelhoff soll von einem Abendessen berichten, zu dem am 27. Januar 2002 der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Restaurant "Wiechmann" in Hannover geladen hatte: Außer Middelhoff und Schröder waren der damalige WAZ-Chef Erich Schumann und Breuer anwesend. Kirch und seine Anwälte behaupten, im "Wiechmann" sei die Zerschlagung der Kirch-Gruppe vorbereitet worden. Zwei Tage danach habe es weitere Hinweise darauf in einer Vorstandssitzung der Deutschen Bank gegeben - und schließlich wieder einige Tage später das Breuer-Interview. In diese Kette von Ereignissen passt in der Logik Kirchs, dass Breuer ihm die Deutsche Bank kurz nach dem heiklen Interview als "Schutzschild" anbot: War das Geldhaus von Anfang an auf ein solches Geschäft aus?
Middelhoff wirkt entspannt, als er als einer der ersten im Gerichtssaal auf den Beginn der Verhandlung wartet. Als Breuer und seine Anwälte kommen, schenkt er jedem sein strahlendes Lächeln. Den großen Auftritt beherrscht der gefallene Manager-Star noch immer. Doch als er später über die Medienbranche im Winter 2001/2002 reden soll, klaffen Lücken in seiner Erinnerung.
Middelhoff erzählt, wie er im November 2001 für Bertelsmann die Übernahme der RTL-Gruppe besiegelt hatte; wie ihn sorgte, dass die US-Unternehmer John Malone und Rupert Murdoch sich das Kabelnetz und die Kirch-Gruppe sichern wollten; wie er zwischen Weihnachten und Neujahr Kanzler Schröder per Telefon zum Krisengipfel bewegte. "Ich sah in dem Ganzen eine industriepolitische Dimension." Zweimal trafen sich Schröder und die Manager, einmal ohne Breuer am 3. Januar, einmal mit ihm am 27. Januar. An vieles erinnert sich Middelhoff sehr genau - aber was in der prominenten Runde zum Thema Kirch gesagt wurde, das will ihm partout nicht einfallen. Ganz sicher sei nicht über Zerschlagung gesprochen worden. Breuer sei sehr zugeknöpft gewesen, so Middelhoff. "Das Treffen verlief ergebnislos und enttäuschend."
Genau das hatten die Deutsche-Bank-Anwälte wohl zu hören gehofft. Die Theorie eines Komplotts gegen Kirch ließ sich nicht erhärten. Die Gegenseite jedoch wies auf Widersprüche zu Middelhoffs früheren Aussagen hin. Mehr noch dürfte die Anwälte geschmerzt haben, was Richter Guido Kotschy später zu Protokoll gab, nachdem er noch mal Breuer befragt hatte. "Wir sehen in den Aussagen von Breuer gewisse Unvereinbarkeiten. Wenn Sie diese Zweifel nicht nachhaltig klären können, wird dieses Prozessverhalten für Sie nicht vorteilhaft sein." Breuer könne nicht einerseits, wie in einer früheren eidesstattlichen Versicherung, vom konkreten Schutzschildangebot an Kirch sprechen, und dieses Angebot andererseits heute als unverbindlichen Beschwichtigungsversuch abtun.
Middelhoff, 58, war da längst weg.