Kassen-Zuschuss:Auf die Dioptrien kommt es an

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Stimmt die Sehstärke? Privatpatienten haben es oft leichter, Termine bei Fachärzten zu bekommen, aber nicht jeder kann sich privat versichern. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Krankenkassen zahlen wieder Zuschüsse zur Brille. Aber nur manche profitieren.

Von Berrit Gräber, München

Die Krankenkassen müssen wieder mehr Geld für Sehhilfen lockermachen. So sieht es das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) vor, das seit 11. April in Kraft ist. Doch viele Details sind noch unbekannt, wie der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) moniert. Klar ist aber eines: Längst nicht alle Fehlsichtigen können sich über die Neuregelung freuen. Nur etwa 1,4 Millionen Bundesbürger, die an starker Kurz- und Weitsichtigkeit mit sechs Dioptrien aufwärts leiden, an Hornhautverkrümmung mit vier Dioptrien und mehr oder beidseitiger Blindheit der Stufe eins, dürfen auf Zuschüsse zur teuren Sehhilfe hoffen. Fast 40 Millionen Brillen- und Kontaktlinsenträger in Deutschland, die weniger Dioptrien haben, bleiben weiter Selbstzahler. Sie können höchstens bei der Steuererklärung Geld zurückholen.

Bis 2003 hatten alle gesetzlich Versicherten mit Sehschwäche einen Anspruch auf ein Brillenrezept. Seitdem galt für Erwachsene: Nur wer höchstens 30 Prozent der Sehkraft erreicht, bekommt einen Zuschuss der Kasse. Nun ist der Kreis der Leistungsberechtigten wieder größer gefasst. Eine neue Brille gibt es für sie immer dann, wenn sich die Sehstärke um 0,5 Dioptrien verändert hat. Sind Kontaktlinsen medizinisch notwendig, leisten die Kassen aber erst ab acht Dioptrien.

Für jene, die ohne Sehhilfe im Alltag kaum zurechtkommen, sei der Zuschuss eine Erleichterung - speziell für Sozialhilfeempfänger und Senioren mit knapper Rente, sagt Andreas Bethke, Geschäftsführer des DBSV. "Wer um die ein bis drei Dioptrien korrigieren muss, hat von der Gesetzesänderung leider nichts", moniert er.

Für die Patienten ist vor allem entscheidend, mit wie viel Geld sie rechnen können. Über die Höhe der neuen Zuschüsse sei noch nicht entschieden, kritisiert Lars Wandke vom Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen. Der Verband der Gesetzlichen Krankenkassen GKV hat noch bis Ende 2018 Zeit, das Hilfsmittelverzeichnis zu überarbeiten. Bis dahin orientiert sich die Unterstützung der Kassen an den bisherigen Festbeträgen. Demnach wird ein Glas für vier bis sechs Dioptrien mit zehn bis rund 110 Euro bezuschusst.

Was garantiert unverändert bleibt: Eine Brille oder Kontaktlinsen bekommen auch schwer Fehlsichtige auf keinen Fall komplett bezahlt. Das Brillengestell müssen sie ohnehin selbst finanzieren. Und wer sehr schlecht sieht, kommt mit den alten Festbeträgen aus dem Jahr 2008 nicht weit. Im hohen Dioptrien-Bereich gibt es keine günstigen Angebotsgläser beim Optiker. Die Kosten pro Brillenglas summieren sich dann schnell auf 350 Euro und mehr. Für Menschen, deren Augenlicht sich über die Jahre zunehmend verschlechtert, kann das wiederkehrende Ausgaben von 1000 Euro aufwärts bedeuten.

Wer Einstärkengläser wählt, kommt billiger weg als mit Gleitsichtgläsern, die Sehschärfe im Nah- und Fernbereich ermöglichen. Extras wie Entspiegelung oder Tönung müssen sowieso aus der eigenen Tasche gezahlt werden. "In den kommenden Wochen müssen wir uns für höhere, vernünftige Zuschüsse starkmachen", sagt Bethke. Der Sehbehindertenverband DBSV hatte sich dafür eingesetzt, die Bezuschussung auf niedrigere Dioptrien-Werte auszuweiten - vergebens.

Nach Ansicht des DBSV müssen Patienten damit rechnen, dass noch nicht alle Augenärzte und Augenoptiker über die Neuregelung beim Anspruch auf Sehhilfen informiert sind. Wer zum Kreis derer gehört, die von der Gesetzesänderung profitieren, kann sich aber vom Arzt ein Brillenrezept ausstellen lassen und es dann beim Optiker einlösen, empfiehlt ein GKV-Sprecher. Der Optiker rechnet dann bis zur Höhe des Festbetrags mit der Kasse ab. Der Optikerverband kritisiert dieses Vorgehen naturgemäß: "Wollen Patienten auf Nummer sicher gehen, müssen sie zuerst zum Arzt und dürfen nicht direkt zum Optiker gehen", kritisiert Wandke. Dieser Umweg koste die Kassen nur Geld.

Die gesetzlich Versicherten unter den übrigen rund 40 Millionen Fehlsichtigen bundesweit müssen ihre Sehhilfe auch in Zukunft wie gehabt aus der eigenen Tasche bezahlen. Es gibt nur wenige Kassen, die - jenseits ihres vorgeschriebenen Leistungsrahmens - Zuschüsse für Fehlsichtige im Angebot haben. Wer kein Geld für eine private Zusatzversicherung ausgeben will, dem bleibt nur die Steuererklärung. Denn hohe Krankheitskosten, also auch Brillen, Kontaktlinsen, Augen-Lasern oder Zuzahlungen zur Operation des grauen Star, können abgesetzt werden.

Dazu können auch eine selbstfinanzierte optische Brille oder Kontaktlinsen ohne Rezept gehören. "Dem Finanzamt genügt es, wenn man einmal beim Arzt war und dann nur noch zum Optiker geht", sagt Isabel Klocke vom Bund der Steuerzahler. Nicht akzeptiert wird die Quittung für die günstige Lesebrille aus dem Supermarkt. Einen zumutbaren Anteil müssen die Bürger zwar selbst zahlen - alles darüber hinaus gilt als außergewöhnliche Belastung. Der Bundesfinanzhof in München hat den Fiskus in diesem Zusammenhang übrigens vor Kurzem eine neue Berechnungsweise angemahnt (Az: BFH VI R 75/14). Die Neuregelung kann einige Hundert Euro Steuervorteil bedeuten.

© SZ vom 13.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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