Kartellamt:Da treffen, wo es wehtut

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Kartellamtschef Andreas Mundt könnte demnächst auch direkt gegen Rechtsverstöße im Internet ermitteln. (Foto: Jakob Berr)

Das Bundeskartellamt kämpft gegen Facebook, wird aber wohl kein Bußgeld verhängen. Die Verbraucher könnten am Ende dennoch profitieren, denn die Behörde versucht es mit einem anderen Mittel.

Von Varinia Bernau, Bonn

Natürlich machen solche Summen Eindruck: 208 Millionen Euro an Bußgeldern hat das Bundeskartellamt wegen verbotener Absprachen im vergangenen Jahr verhängt. Gegen 45 Unternehmen: Matratzenhersteller, Automobilzulieferer, Anbieter von Fertiggaragen. Allein in diesem Jahr sind schon wieder 99 Millionen Euro für solche Strafzahlungen zusammengekommen.

Aber Andreas Mundt, der die Behörde seit fast sieben Jahren führt, rattert diese Zahlen nur runter. So als seien sie eine lästige Pflicht. Die Kür, das weiß der Jurist wohl, ist eine andere. Nämlich die Frage, wie er auch in der digitalen Welt dafür sorgt, dass neue Dienste entstehen und nicht ein paar wenige Konzerne ihre Macht stärken.

Das Internet ist für den obersten deutschen Wettbewerbshüter zwar kein Neuland mehr, aber eben doch ein unwegsames Gelände, für das ihm, so hat er es einmal ausgedrückt, das GPS-Gerät fehlt.

Um deutlich zu machen, dass er sich davon nicht abschrecken lässt, hat sich Mundt im März einen der schillerndsten, aber wohl auch umstrittensten Internetkonzerne vorgeknöpft - und ein Verfahren gegen Facebook eingeleitet. Missbraucht das soziale Netzwerk, das weltweit zu einer der meistbesuchten Seiten im Internet zählt und allein in Deutschland 28 Millionen Mitglieder hat, seine Macht? Missachtet es den hiesigen Datenschutz und nutzt die von seinen Mitgliedern erhobenen Informationen, um sein Werbegeschäft anzukurbeln - einfach so, weil es das kann?

In dem Verfahren, das die Behörde in diesem Jahr noch nicht abschließen wird, kann sie kein Bußgeld verhängen, schätzt Mundt. Aber wenn sie zu dem Schluss kommt, dass Facebook seine Macht missbraucht, könnte sie Auflagen machen. Und in einer Welt, in der Daten die neue Währung sind, würde dies Facebook vielleicht sogar empfindlicher treffen als ein Bußgeld.

Vermutlich erklärt auch dies, warum Mundt über die Strafzahlungen nicht viele Worte verliert. Die grundlegenden Fragen interessieren ihn mehr. Wenn er jetzt die richtigen Antworten darauf findet, kann er vermutlich sogar mehr bewegen. Für den Wettbewerb in einer immer stärker digital geprägten Wirtschaft, für viele Verbraucher - und wohl auch für sein Ansehen.

Wenn Daten die Währung sind, schaden Auflagen Facebook wohl mehr als Geld-Strafen

In der digitalen Welt folgen auch Zusammenschlüsse einer anderen Logik als in der Old Economy: Denn je mehr Menschen etwa eine Immobilienplattform nutzen, desto bessere Angebote wird man dort finden. Deshalb hat das Bundeskartellamt im vergangenen Jahr die Fusion von Immonet.de und Immowelt.de genehmigt. Gemeinsam können sie dem größten Anbieter Immobilienscout24.de eher Konkurrenz machen als alleine. Der Wettbewerb wird belebt, zum Wohle des Verbrauchers. Das Verfahren gegen Facebook ist nur ein Bauteil für Mundts GPS-Gerät, um in dem unwegsamen Gelände voranzukommen.

Mundt hat im Bundeskartellamt einen Thinktank für die digitale Wirtschaft aufgebaut, der mit seinem Knowhow die Kollegen in den einzelnen Fachabteilungen unterstützen. Der Thinktank hat ein theoretisches Fundament gelegt, nun geht es in die Praxis: an die konkreten Fälle. Eventuell, sagt Mundt, könne man daraus dann auch wieder Ableitungen für die Mechanismen in der digitalen Wirtschaft machen.

Der Fall Facebook zeigt, dass Daten zu einer neuen Währung geworden sind. Bislang aber sind im Wettbewerbsrecht Märkte, auf denen kein Geld fließt, keine Märkte. Das Bundeskartellamt hat deshalb dem Bundeswirtschaftsministerium Empfehlungen ausgesprochen. Das Wettbewerbsrecht hat das Ministerium in den vergangenen Monaten ohnehin überarbeitet. Die Definition eines Marktes soll auch das Szenario umfassen, dass Daten fließen. Die gesetzlichen Grundlagen sollen also ans digitale Zeitalter angepasst werden. Weil diese Märkte auch immer seltener an Landesgrenzen enden, tauschen sich die Bonner Wettbewerbshüter inzwischen enger mit ihren Kollegen in anderen Ländern und auch in der Europäischen Kommission aus.

"Wir teilen uns diese enorme Verantwortung", sagt Mundt. Doch man sollte diese Worte nicht missverstehen. Dahinter steckt weniger Bescheidenheit als die ausdrückliche Aufforderung zur sportlichen Konkurrenz unter den Wettbewerbshütern in den europäischen Ländern. So sei seine Behörde eine der ersten in Europa gewesen, die sich etwa genauer angesehen hat, wie Amazon Händler davon abhielt, nirgendwo günstigere Preise zu verlangen als auf den über Amazon zugänglichen Marktplätzen. Das erzählt Mundt sichtbar stolz.

Der Konzern lenkte ein. Zunächst nur in Deutschland, später auch im Rest Europas. Ob es im Facebook-Fall wieder so läuft? Mundt ist skeptisch. Schließlich stützt er sich auf den Datenschutz, der von Land zu Land verschieden ist. Andererseits liegt inzwischen eine europäische Verordnung für einheitliche Regeln vor.

Lenkt Facebook also ein, wäre Mundt derjenige, der den Konzern gezähmt hätte.

© SZ vom 23.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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