KarstadtQuelle:Bis zum Hals im Wasser

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Die Mitarbeiter des Konzerns sollen ihre Jobs retten, indem sie mehr arbeiten und weniger verdienen.

Von Stefan Weber

In den Verhandlungen zwischen Management und Arbeitnehmervertretern, die an diesem Dienstag in Essen in die entscheidende Phase treten, geht es möglicherweise um das Überleben des gesamten Konzerns.

Bereits am Montag hatten sich beide Seiten in Nürnberg getroffen, um über einen Beitrag der Beschäftigten bei den Versandhandelstöchtern Neckermann und Quelle zu beraten.

Gehaltseinbußen

Noch sind die Positionen weit voneinander entfernt. Die Unternehmensführung will die Personalkosten unter anderem durch Gehaltseinbußen, Verzicht auf fünf Urlaubstage und übertarifliche Leistungen um 190 Millionen Euro senken.

Zudem sollen die Arbeitszeiten auf bis zu 42 Stunden pro Woche verlängert werden. Die Gewerkschaft Verdi ist dagegen lediglich bereit, auf übertarifliche Leistungen zu verzichten, so etwa auf das Weihnachtsgeld, Zuwendungen für Dienstjubiläen oder Heirat.

Solche Sonderzahlungen haben andere Handelsunternehmen bereits vor Jahren gestrichen. KarstadtQuelle ist derzeit nur das prominenteste Beispiel für eine umfassende Krise: Rund 4500 Handelsunternehmen werden nach Schätzung des Branchenverbandes BAG in diesem Jahr den Weg zum Insolvenzverwalter antreten müssen.

Inzwischen ist nicht mehr ganz auszuschließen, dass der große Handelskonzern dazugehören könnte. Aufsichtsratschef Thomas Middelhoff hat gewarnt, bei der anstehenden Sanierung der Handelsgruppe gehe es "ums Ganze".

Und Wolfgang Prokriefke, der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, hatte sogar öffentlich von der Gefahr einer Insolvenz gesprochen.

500 Euro frische Mittel

Tatsächlich stehen die aktuellen Verhandlungen unter einem ungeheuren Druck, weil dem größten europäischen Warenhaus- und Versandhandelskonzern das Wasser bis zum Hals steht: Die Kasse ist leer, und der Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme, der bei solide finanzierten Unternehmen 30 Prozent und mehr erreicht, befindet sich im Sinkflug in Richtung zehn Prozent.

Damit KarstadtQuelle flüssig bleibt, müssen zunächst die Banken neue Kreditlinien mit längerer Laufzeit vergeben. Dazu sind sie grundsätzlich bereit - vorausgesetzt, zwei Bedingungen werden erfüllt: Zum einen sollen die Eigentümer des Handelskonzerns frische Mittel zuschießen, gefordert werden 500 Millionen Euro.

Zum anderen sollen die Arbeitnehmer einen angemessenen Beitrag zu der Sanierung leisten. Auch Madeleine Schickedanz und die Allianz als Großaktionäre sowie die Dresdner Bank und die ABN Amro Bank machen dies zur Voraussetzung für eine Finanzspritze.

Sie hatten sich verpflichtet, die Kapitalerhöhung alleine zu schultern, falls die anderen Aktionäre nicht mitziehen. Viel Zeit für eine Einigung zwischen Vorstand und Arbeitnehmervertretern bleibt also nicht.

Denn schon an diesem Donnerstag trifft sich der Aufsichtsrat des Konzerns, um die Weichen für die außerordentliche Hauptversammlung zu stellen, die auf den 22. November angesetzt ist.

Beschluss der Kapitalaufstockung noch vor Jahresende

Dort soll die Aufstockung des Kapitals beschlossen werden. Laut Gesetz müssen die Einladungen zum Aktionärstreffen sechs Wochen zuvor verschickt werden. Somit müssen sich beide Seiten bis Donnerstag auf eine gemeinsame Linie verständigen.

Anderenfalls ist der Zeitplan für die Sanierung nicht zu halten. Eine Verzögerung kann sich das Management aber nicht leisten, denn dringend muss neues Geld in die Kasse.

Zahlungsfristen rücken näher, und es ist nicht abzuschätzen, wie lange die Kreditgeber stillhalten werden. Das Sanierungsprogramm, mit dem der Konzern innerhalb von zwei Jahren wieder in die Gewinnzone zurückkehren will, hat der Aufsichtsrat bereits vor zwei Wochen gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter beschlossen.

Einschneidende Veränderungen stehen dabei insbesondere bei den Warenhäusern sowie bei den gut 300 Fachgeschäften an, die KarstadtQuelle im Sport- und Modebereich (Runners Point, Golf House, Wehmeyer, SinnLeffers) betreibt.

Bis zu 10.000 Stellen beddroht

Die Fachgeschäfte werden verkauft, und von den Warenhäusern will der Konzern auf lange Sicht nur noch die 89 Standorte betreiben, die über eine Verkaufsfläche von mindestens 8000 Quadratmetern verfügen.

Dagegen sollen kleinere 77 Häuser in eine eigene Gesellschaft überführt und möglichst rasch in einem Block veräußert werden.

Wie vielen seiner knapp 100.000 Mitarbeitern KarstadtQuelle noch in diesem Jahr kündigen wird, ist offen. Verdi sieht im Rahmen des Sanierungsprogramms bis zu 10.000 Arbeitsplätze bedroht.

Sicher ist allerdings, dass der Handelsverband BAG seine Prognose über den voraussichtlichen Stellenabbau in der Branche korrigieren muss. Denn bei den von ihm für 2004 prognostizierten Streichungen von rund 30.000 Stellen wird es kaum bleiben.

© SZ vom 12.10.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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