Justiz:Rechtsschutz wird deutlich teurer

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Ab 1. Juli 2004 sollen Rechtsanwälte höhere Honorare berechnen dürfen. Die Versicherer erwarten Belastungen von mehr als 350 Millionen Euro und stellen Prämienerhöhungen in Aussicht. Einen Gang vor Gericht können sich in Zukunft nicht mehr viele leisten.

Von Stefan Weber

(SZ vom 4. November 2003) — Als Harald L. von seinem Arbeitgeber, einem Hamburger Mineralölkonzern, die Kündigung erhielt, suchte der Sachbearbeiter (Bruttogehalt: 2.250 Euro) Rat bei einem Rechtsanwalt.

Der Jurist versuchte, die Kündigung zunächst außergerichtlich abzuwenden. Das misslang. Auch eine Klage vor dem Arbeitsgericht hatte keinen Erfolg. Der verlorene Kampf um den Arbeitsplatz kostete Harald L. 1.213 Euro. Auf diesen Betrag summierten sich Gerichtskosten und Anwaltsgebühren.

Anstieg der Gerichtskosten

Wenn das vom Bundesjustizministerium erarbeitete "Kostenrechtsmodernisierungsgesetz" umgesetzt ist, wird eine solche Rechnung ab Juni 2004 mehr als 40 Prozent höher ausfallen.

Zum einen werden die Gerichtskosten um etwa 20 Prozent steigen; zum anderen ist vorgesehen, die 1994 zum letzten Mal angepasste Vergütung der Rechtsanwälte zu erhöhen.

Nach Angaben des Bundesjustizministeriums steigen die Honorare der Anwälte um 14 Prozent. Diese Berechnung wird von den Rechtsschutzversicherern angezweifelt. Nach Auswertung von 25000 Rechtsfällen kommen sie zu einem Plus von 22 Prozent.

Anwaltsgehälter über Streitwert verbessert

"Vor allem im außergerichtlichen Bereich wird kräftig zugelangt", meint Reinhold Gleichmann, Vorsitzender des Fachausschusses Rechtschutz beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

Paul-Otto Fassbender, Vorstandsvorsitzender der Arag, einem der führenden Rechtsschutzversicherer, weist darauf hin, dass die Anwälte ihre Einkünfte über die in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegenen Streitwerte bereits verbessert haben.

Er rechnet für sein Unternehmen mit einem rund 22 Prozent höheren Schadenaufwand, wenn der Gesetzentwurf in der vorliegenden Form Wirklichkeit wird.

Drastischer Anstieg prognostiziert

"Diese Belastung müssen wir über höhere Prämien an die Versicherten weitergeben", sagt Fassbender. Gleichmann, im Hauptberuf Vorstand des Rechtsschutzversicherer D.A.S., prognostiziert, dass alle Gesellschaften ihre Preise drastisch anheben werden.

Nach seiner Schätzung belastet die Erhöhung von Gerichtskosten und Anwaltshonoraren die Versicherer mit 350 bis 370 Millionen Euro.

Im vergangenen Jahr haben die etwa 40 auf dem deutschen Markt tätigen Rechtsschutzversicherer rund 2,7 Milliarden Euro an Prämien eingenommen. Für Anwaltshonorare gaben sie gut 1,3 Milliarden Euro aus.

Gerichtskosten schlugen mit rund 300 Millionen Euro zu Buche. "Um kostendeckend zu arbeiten, müssen wir eine Police, die heute 250 Euro kostet, künftig für 290 bis 300 Euro anbieten", sagt Gleichmann.

Furcht vor Vertragskündigungen

Die Prämienanhebung können die Versicherer jedoch nicht gleich zum 1. Juli 2004 vornehmen. Zunächst muss ein Treuhänder die Kostenentwicklung prüfen.

Vor Mitte 2005, so heißt es in der Branche, würden die Preise nicht nennenswert angehoben. Dann könnte es jedoch mehrere Jahre hintereinander zu Prämienangleichungen kommen.

"Bis die Versicherer die gestiegenen Belastungen in vollem Umfang weitergegeben haben, vergehen vier Jahre", sagt Gleichmann. In der Zwischenzeit, so fürchtet er, würden viele der knapp 20 Millionen Rechtsschutzversicherten ihre Verträge kündigen.

In der Vergangenheit war die Stornoquote bei der D.A.S. nach einer Prämienerhöhung regelmäßig um einen Prozentpunkt höher als in einem "Normaljahr". Gleichmann erwartet, dass das Rechtsschutzgeschäft, das bisher zu den profitabelsten Sparten in der Versicherungswirtschaft gehörte, erheblich an Attraktivität verlieren wird.

Chancengleichheit in Gefahr

"Künftig wird nur noch derjenige eine Police abschließen, der mit einem Rechtsstreit rechnet. Somit drohen höhere Kosten", meint Gleichmann.

Fassbender sieht durch das Gesetz gar die Chancengleichheit vor Gericht in Gefahr: "Künftig können sich nur noch Gutverdienende oder Leute mit kleinem Einkommen, die Prozesskostenhilfe erhalten, den Weg zum Anwalt oder vor Gericht leisten."

Das vom Bundesjustizministerium verfolgte Ziel, die Zahl der Klagen zu reduzieren und so die Gerichte zu entlasten, wird nach Einschätzung des Arag-Chefs durch das geplante Gesetz auf den Kopf gestellt. Der Gang vor Gericht, so meint er, werde für Anwälte künftig erst recht lukrativ.

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