Juristische Feinarbeit:Der John Wayne der Wall Street

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Er ist eine Art Super-Ombudsmann fürs Volk, Wettbewerbshüter und Kämpfer gegen das organisierte Verbrechen in einem — New Yorks Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer.

Von Andreas Oldag

Es ist hektisch in diesen Tagen in den Büroräumen des New Yorker Generalstaatsanwalts Eliot Spitzer. Auf den Schreibtischen seiner Mitarbeiter stapeln sich dicke, schwarze Mappen.

Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer während eines Vortrages in New York. (Foto: Foto: AP)

Computer-Bildschirme flimmern. Ein Papierkorb ist mit den Styropor-Verpackungen von Fastfood-Mahlzeiten gefüllt.

Irgendwo flitzt der Chef über die Gänge im schmucklosen Bürogebäude am Broadway.

Spitzer hat seine Truppe auf die Versicherungsbranche angesetzt. Nach der Zivilklage gegen den größten US-Versicherungsmakler Marsh & McLennan wegen dubioser Kommissionszahlungen will der Generalsstaatsanwalt nun auch andere Brokerfirmen an den Haken bekommen.

Illegale Geschäftspraktiken aufdecken

Spitzer verbreitet Angst und Schrecken in der Finanzwelt an der Wall Street.

Das konservative Wall Street Journal bezeichnete den Strafverfolger vor Kurzem als John Wayne, der mit rauchendem Colt in den Chefetagen für Ordnung sorge.

Mit seinen spektakulären Entscheidungen für die Rechte der Kleinanleger und Verbraucher hat Spitzer Bankern und Brokern Zügel angelegt. Im vergangenen Jahr trotzte er den Investmenthäusern an der Wall-Street wegen geschönter Aktienanalysen eine Vergleichszahlung von 1,4 Milliarden Dollar ab.

Ein Super-Ombudsmann des Volkes

Auch die Investmentfonds gerieten ins Visier des Generalstaatsanwalts. Sie zahlten wegen illegaler Geschäftspraktiken bislang rund 1,8 Milliarden Dollar.

Im amerikanischen Rechtssystem hat der Generalstaatsanwalt weitreichende Aufgaben. Er ist eine Art Super-Ombudsmann des Volkes, der zudem mit juristischen Kompetenzen ausgestattet ist.

So kann Spitzer sowohl Zivilklage als auch Anklage im strafrechtlichen Sinne erheben. Dabei geht es ebenso um die Bekämpfung der organisierten Kriminalität wie um Umwelt-, Arbeits-, Verbraucher und Gesundheitsschutz. Außerdem agiert Spitzer als Wettbewerbshüter, um gegen Markt- und Preismissbrauch vorzugehen.

Die Kanzlei ist zur Kaderschmiede geworden

Dem Generalstaatsanwalt des US-Bundesstaats New York unterstehen rund 500 Staatsanwälte und 1800 weitere Mitarbeiter, die nicht nur in New York City tätig sind, sondern auch in verschiedenen Regionalbüros.

Längst ist das Büro des Generalstaatsanwalts zur Kaderschmiede für Karrieristen geworden. Die Juristen, die sich mit den Unternehmen anlegen, werden später gerne von diesen als Hausanwälte angeworben. Nach dem Motto: Mein ehemaliger Feind weiß am besten, wie man sich gegen Attacken wehrt.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter überraschend, dass der neue Marsh & McLennan-Chef, Michael Cherkasky, einst Vorgesetzter von Spitzer war. Dem Harvard-Absolventen Spitzer wird indes nachgesagt, dass es ihn in die Politik zieht.

Der 44-Jährige könnte sich als Kandidat der Demokraten bei den Gouverneurswahlen für New York aufstellen lassen, um den Republikaner George Pataki 2006 aus dem Amt zu kippen, heißt es.

Tausende E-Mails ausgewertet

Doch was macht den Erfolg des Generalstaatsanwalts aus? Es sind vor allem seine Hartnäckigkeit, aber manchmal auch Kommissar Zufall, die dem Chefermittler helfen.

So flogen etwa die Investmentfondsskandale auf, weil ein Mitarbeiter einer Fondsgesellschaft über Tricksereien und Mauscheleien plauderte. Er brachte Spitzer auf die Spur, dass die mächtigen Investmentfonds, die fast jeden zweiten amerikanischen Haushalt als Kunden haben, mit dem Geld ihrer Klienten ohne deren Wissen kurzfristig spekulieren.

Bei den Banken waren es Tausende von internen E-Mails, die Spitzer als wichtiges Beweismaterial dienten. In den E-Mails bezeichneten einige Analysten ihre Aktienempfehlungen unter anderem als "Müll" und "Dreck".

Den Volltreffer gegen die Versicherungsbroker landete schließlich ein junger Jura-Student, der bei Spitzer gerade ein Praktikum absolvierte. Er sortierte Dokumente und stieß dabei auf den Ausdruck eines firmeninternen E-Mails. Verfasser war ein Top-Manager der Brokerfirma Marsh & McLennan.

Wie man Kunden überteuerte Policen andreht

Der ließ sich darüber aus, wie man einen Strohmann einspannen könnte, um einem Versicherungskunden eine zu teure Police anzudrehen. Der Rest war für die Ermittler juristische Feinarbeit, die schließlich zu einer 31 Seiten dicken Klageschrift führte.

Dabei beruft sich der Generalstaatsanwalt auf ein 111 Jahre altes Gesetz des US-Bundesstaats New York gegen Wettbewerbsbeschränkungen, den so genannten Donnelly Act, der den Behörden großen juristischen Spielraum bei der Verfolgung von Preisabsprachen zu Lasten der Verbraucher ermöglicht.

Das Gesetz ist neben dem Sherman Act, das ein Bundesgesetz ist, eines der ältesten in den USA gegen Marktmanipulationen.

Die spektakulären Erfolge Spitzers stoßen jedoch nicht überall auf Beifall. Kritiker werfen dem Juristen Profilierungssucht vor. Er sei ein Machtmensch, der seine Kompetenzen überschreite.

Gerade im Fall Marsh & McLennan ist die Kritik noch schärfer geworden, weil Spitzer darauf drängte, den schwer belasteten Firmenchef Jeffrey Greenberg abzulösen, dessen Posten Cherkasky übernahm.

"Ein Staatsanwalt sollte sich nicht in die Entscheidungen über ein neues Management einmischen. Das geht zu weit", fordert Leslie Caldwell. Die Top-Juristin war lange Zeit als oberste Ermittlerin gegen den Skandalkonzern Enron tätig und wechselte vor kurzem als Anwältin in eine New Yorker Kanzlei.

© SZ vom 9.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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