Jamie Dimon:Der letzte König

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"Alle machen Fehler" - mit solchen Sätzen lässt JP-Morgan-Chef Jamie Dimon Kritik an der eigenen Person abprallen. (Foto: Rick Osentoski/AP)

Der ruppige Manager hat JP Morgan zur größten globalen Bank gemacht, indem er in der Krise zukaufte. Jetzt soll er Italiens Bankenwelt vor dem Untergang bewahren.

Von Andrea Rexer und Ulrike Sauer, Rom/München

Wenn er sitzt, dann breitbeinig. Wenn er spricht, dann laut und bestimmt. Wenn andere über ihn sprechen, dann nur in Superlativen: Jamie Dimon sei der einzige verbliebene König der Wall Street, sagen die einen bewundernd, die anderen mit Abscheu. Jedenfalls aber ist Dimon mit elf Jahren im Amt derzeit der am längsten dienende Chef einer US-Investmentbank und so etwas wie die Galionsfigur des internationalen Bankings. Man kann sich kaum vorstellen, dass ausgerechnet Dimon ein Faible für Geschichtsbücher haben könnte. Nichts an ihm ist feingeistig. Der Chef von JP Morgan ist vielmehr der Inbegriff des hemdsärmligen Bankers, einer, der es gewohnt ist, ins Risiko zu gehen und harte Entscheidungen durchzusetzen. Und dennoch ist das, was Dimon gerade macht, ein Rückgriff auf die Geschichte seiner Bank. Der Amerikaner soll die krisengeschüttelte italienische Bank Monte dei Paschi retten, als Anführer eines Konsortiums privater Banken. Der italienische Steuerzahler soll verschont bleiben.

Etwas ganz ähnliches hat 1895 schon einmal funktioniert. Damals hat der Gründer der Bank, John Pierpont Morgan, in großem Stil US-Staatsanleihen gekauft, um die USA vor dem bevorstehenden Bankrott zu bewahren. Die USA ging tatsächlich nicht pleite, Morgan stand als Retter da. In erster Linie aber war er der große Gewinner: Die Staatsanleihen konnte der kluge Banker später gewinnbringend verkaufen. Gut möglich also, dass auch Dimon in der Rettung von Monte dei Paschi in erster Linie ein gutes Geschäft sieht. JP Morgan und eine Handvoll weitere internationale Banken sollen der Krisenbank helfen, fünf Milliarden Euro aufzutreiben - für ein Institut, das an der Börse zeitweise nur noch 500 Millionen Euro wert ist. Das ist kein Kinderspiel. Gemunkelt wird, dass JP Morgan eine satte Provision ausgehandelt hat, die genauen Konditionen jedoch sind unbekannt.

Der JP Morgan-Chef gehört zu jenen italophilen New Yorkern, die stolz auf einen italienischen Urgroßvater verweisen und gern mehr Zeit auf der Mittelmeerhalbinsel verbringen würden. Im vergangenen Sommer kam Dimon dann tatsächlich zu Besuch, um 100 Jahre Geschäftstätigkeit von JP Morgan in Italien zu feiern. Und er aß am 6. Juli mit Regierungschef Matteo Renzi im Regierungsamt zu Mittag.

Die Begegnung hat durchschlagende Folgen. Von nun an kam Renzi im Zusammenhang mit der verzweifelten Lage von Monte dei Paschi nur mehr das Wort "Marktlösung" über die Lippen. Die Idee, öffentliche Gelder zur Rettung der 1472 gegründeten Bank einzusetzen, verwarf er. Damit begibt sich Renzi in die Hände von Dimon. Denn Italien kann sich ein Scheitern der MPS-Rettung nicht leisten. Man befürchtet einen Domino-Effekt auf das gesamte Bankensystem. Für die Regierung geht es um Glaubwürdigkeit, für den Finanzmarkt um Stabilität. Für Renzi um das politische Überleben.

Insgesamt muss er 16 Milliarden Euro zur Refinanzierung des italienischen Bankensystems auftreiben, das unter der Last von 80 Milliarden Euro fauler Kredite ächzt. Die erforderlichen Kapitalspritzen für ein halbes Dutzend Institute addieren sich auf einen Prozentpunkt der italienischen Wirtschaftsleistung. Im vergangenen November hatte ihm die EU-Wettbewerbskommission verwehrt, vier insolvente Regionalinstitute mit Hilfe des privaten Gemeinschaftsfonds der italienischen Banken zu retten. Das sei eine unzulässige Staatshilfe, so die Argumentation. Sofort wurde die gesamte Bankenbranche an der Börse nach unten geprügelt. Die Pleite der kleinen Banken markierte auch einen Wendepunkt in Renzis stürmischer Polit-Karriere. Die Opposition nutzte den Flop geschickt aus, die Stimmung im Land kippte. Also klammert sich der Premier in Rom nun an Jamie Dimon.

Wenn er den Sieger mimen darf, ist er charmant, bei Kritik fällt ihm das Lächeln aus dem Gesicht

Gelernt hat der schillernde Banker sein Geschäft von seinem langjährigem Mentor, Sandy Weill. Der holte ihn einst direkt aus dem Studium in Harvard zum Kreditkartenanbieter American Express. Später nahm ihn Weill mit, als er die Citigroup mithilfe einer Vielzahl von Übernahmen zu einer Großbank schmiedete. Der hochgewachsene, schlagfertige Dimon war in den 1990ern Weills rechte Hand. Das damals erlernte Handwerkszeug konnte Dimon gut gebrauchen, als er 2005 Chef von JP Morgan wurde. Und letztendlich setzte er in dieser Position jene Vision um, die sein Mentor eigentlich für Citi erdacht hatte: eine umfassende globale Bank zu bauen, die sich vom Privatkunden bis zum Investmentbanking spannt. Die Zukäufe in der Finanzkrise haben JP Morgan diesem Ziel entscheidend näher gebracht: der billige Zukauf von Bear Stearns stopfte Löcher in der Investmentbank, die Übernahme von Washington Mutual verstärkte das Privatkundengeschäft.

Bei Monte dei Paschi hat Dimon zwar keinerlei offizielle Position, aber doch hat er in Siena ganz offenbar freie Hand. So wird kolportiert, dass es die Leute von JP Morgan waren, die verlangten, dass der MPS-Chef Fabrizio Viola gefeuert wird. Es ist stadtbekannt, dass Viola sich gegen die horrenden Provisionen für die Amerikaner wehrte. Am 7. September griff Finanzminister Pier Carlo Padoan dann zum Telefon und setzte Viola im Namen des Regierungschefs ab. Der Staat Italien ist mit einem 4-Prozent-Anteil der größte Einzelaktionär der Bank. Flugs wurde ein ehemaliger JP-Morgan-Banker zum neuen MSP-Chef gekürt. Der Vorgang zeigt, wer in der gotischen Festung Rocca Salimbeni das Sagen hat: ein Amerikaner.

Das ruppige Gebaren jedoch stößt in Siena auf Entsetzen. "Sagen wir so, sie sind hier hereinspaziert, ohne anzuklopfen", sagte ein früherer Mitarbeiter von Viola der Turiner Tageszeitung La Stampa. An Dimon prallen solche Aussagen ab. So sehr er seinen Charme spielen lässt, wenn er den Sieger mimen darf, so schnell fällt ihm das Lächeln aus dem Gesicht, wenn ein Gesprächspartner kritische Punkte anspricht. Und die gibt es zuhauf: etwa, dass JP Morgan 13 Milliarden US-Dollar Strafe wegen Hypothekengeschäften an die US-Behörden zahlen musste. Oder dass unter seiner Führung ein Händler die Rekordsumme von über sechs Milliarden Dollar verzockt hat. Jeder andere Bankchef hätte zurücktreten müssen - aber nicht Dimon. Er hat die Bank so sehr auf seine Person ausgerichtet, dass sich die Investoren JP Morgan ohne ihn nicht mehr vorstellen können. Geduldig warteten sie ab, als sich Dimon 2014 von Juli bis Oktober zurückzog. Er kämpfte in dieser Zeit gegen Kehlkopfkrebs - und gewann, wie üblich also. Sentimentalitäten ließ er auch bei diesem Thema nicht zu. Er beschränkte sich auf ein kurzes Statement: Er sei froh, dass die Behandlungen vorbei seien.

© SZ vom 26.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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