Jahresgutachten:Wirtschaftsweise überraschen mit mutiger Prognose

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Anders als die Bundesregierung und die führenden Forschungsinstitute erwarten die Wirtschaftsweisen für das kommende Jahr ein kräftiges Wachstum - und stellen der Regierung ein katastrophales Zeugnis aus.

Nina Bovensiepen

In dem Gutachten, das der Süddeutschen Zeitung in Auszügen vorliegt, bewerten die Forscher die wirtschaftliche Situation sehr optimistisch. Massive Kritik äußern sie aber an der großen Koalition.

Geht mit der Regierung hart ins Gericht: Bert Rürup. (Foto: Foto: dpa)

"Selten konnte eine Regierung ihre Arbeit mit einem ähnlich großen Vertrauensvorschuss in einem sich unerwartet stark aufhellenden konjunkturellen Umfeld aufnehmen", schreiben die fünf Wirtschaftsweisen.

Nachdem Schwarz-Rot anfangs einige Reformen angepackt habe, etwa die Einführung der Rente mit 67, befinde sich die Politik nun seit geraumer Zeit in einer durch "den Widerstreit der Interessen entstandenen Selbstblockade".

Erneuter Hinweis auf Kombilohnmodell

Ungewöhnlich scharf warnen die Forscher, dass die Regierung sich "aus dem Klammergriff der parteipolitischen Interessen befreien" müsse, um weitere Reformen auf den Weg zu bringen. Explizit verweisen sie etwa auf die Arbeitsmarktreformen. Die Weisen verweisen noch einmal auf ihre Vorschläge für ein Kombilohnmodell, das vor einiger Zeit für Kontroversen gesorgt hatte.

Trotz der Unsicherheit über den politischen Kurs ist der Sachverständigenrat in seiner wirtschaftlichen Einschätzung optimistischer als die Regierung.

Während die Koalition und die führenden Wirtschaftsforschungs-institute 2007 nur ein Wachstum von 1,4 Prozent erwarten, rechnen die Wirtschaftsweisen mit 1,8 Prozent.

Der Rückgang von voraussichtlich 2,4 Prozent 2006 auf 1,8 Prozent gehe vor allem auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer zurück, dies dürfe "nicht als Indiz angesehen werden, dass die Konjunktur ihren Wendepunkt bereits überschritten hat".

Defizit und Arbeitslosigkeit sinkt

Die Zahl der Arbeitslosen wird nach Ansicht des Rats, dem der Ökonom Bert Rürup vorsitzt, weiter sinken; ebenso das Staatsdefizit.

Der bisherigen Regierungsarbeit stellen die Forscher ein schlechtes Zeugnis aus. Mit der Einführung der Rente mit 67 und dem Beginn der Neuordnung der Beziehungen von Bund und Ländern (Föderalismusreform I) sei die Koalition zwar gut gestartet, seitdem gehe es aber bergab.

Als besonders misslungen stellt der Rat die Gesundheitsreform heraus. "Es ist ein politisches Armutszeugnis, eine Reform, die darauf abzielen sollte, die lohnabhängigen Beiträge zu senken, mit einer beträchtlichen Erhöhung der Beitragssätze einzuleiten", heißt es im Gutachten.

Der geplante Gesundheitsfonds bedeute sogar eine Verschlechterung des Systems, wenn er wie geplant komme. Da der Start des Fonds auf Anfang 2009 verschoben wurde, bestehe noch die "freilich schwache" Hoffnung, dass dieser in wichtigen Punkten überarbeitet werde.

(Foto: Grafik: SZ)

Auch die in der vergangenen Woche festgezurrte Unternehmensteuerreform missfällt den Forschern. Die Senkung der Steuerlast für Körperschaften auf weniger als 30 Prozent sei zwar positiv.

"Die übrigen der vom Bundeskabinett beschlossenen Eckpunkte zur Unternehmensbesteuerung hingegen sind überwiegend negativ zu beurteilen." So werde etwa nicht das Ziel erreicht, dass Firmen in Deutschland unabhängig von ihrer Gesellschaftsform besteuert würden.

Experten sehen Grundgesetz verletzt

Ausführlich beschäftigt sich das Gutachten mit der Lage des Haushalts. So weist der Rat darauf hin, dass der Bundeshaushalt 2006 seiner Ansicht nach die Schuldenregel des Grundgesetzes verletzt.

Diese schreibt vor, dass der Bund sich pro Jahr nicht mehr Geld leihen darf, als er für Investitionen ausgibt. Allerdings kann die Regel außer Kraft gesetzt werden, wenn die Regierung eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ausruft, wie für 2006 geschehen.

Das biete einen weiten Interpretationsspielraum; insofern sei der betreffende Paragraph 115 "ein Papiertiger", argumentieren die Weisen. Sie schlagen einen engere Definition des Investitionsbegriffs vor; demzufolge würde die geplante Neuverschuldung des Bundes die Ausgaben für Investitionen 2007 um 18 Milliarden Euro übersteigen.

"Die strukturelle Schieflage des Bundeshaushalts wird auf diese Weise offensichtlich", heißt es im Gutachten. Auch bei der Neuordnung der Länderfinanzen sehen die Weisen deutlichen Korrekturbedarf.

Haushaltslage bleibt prekär

Insgesamt bleibt die Lage des Haushalts nach Ansicht der Ökonomen "prekär", auch wenn die Regierung schon einige Sparvorhaben umgesetzt habe.

Der Rat liefert Vorschläge, wo er noch Spielraum sieht. So könnten etwa die Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit gekürzt werden. Zudem könnten Zuschüsse wie die Steinkohlesubventionen abgebaut werden.

© SZ vom 08.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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