iPhone X:Schau mich an!

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Selfie-Optimierung, super Display, sprechende Einhörner: das iPhone X im Test.

Von Hakan Tanriverdi, München

Die Zukunft des Smartphones, wie Apple sie sich vorstellt, beginnt damit, dass der Kunde seinen Kopf zweimal im Uhrzeigersinn dreht. Danach steht "Face ID done" auf dem Bildschirm. Die Gesichtsverifikation ist eingerichtet - ab diesem Moment wird das Smartphone direkt entschlüsselt, wenn man es in die Hand nimmt und die Infrarotkamera einen taxieren kann.

Soviel vorneweg: Natürlich ist das neue iPhone X awesome, absolut hervorragend. Natürlich ist es absurd teuer. Da fragt sich, ob man so ein Gerät sofort kaufen sollte. Es kostet knapp 1150 Euro mit 64 Gigabyte Speicher und knapp 1320 Euro mit 256 Gigabyte Speicher. Ersten Tests zufolge soll das Display leicht zersplittern, ein extra Schutz von Apple kostet etwa 230 Euro.

Apple hat das Design runderneuert, ein fast randloses Smartphone gebaut und es mit rechenstarken Chips und Sensoren ausgestattet. Das Display des iPhone X (ausgesprochen: zehn, nicht x) ist riesig: 5,8 Zoll. Zur Erinnerung: Das Display des deutlich größeren und unhandlicheren iPhone 8 Plus kommt auf 5,5 Zoll. Der Akku hält knapp einen Tag, acht Stunden Nachtruhe ausgenommen.

Apple setzt zudem erstmals auf ein OLED-Display, bei dem schwarze Pixel dunkel bleiben und nicht angeleuchtet werden. Dadurch entstehen stärkere Kontraste - Filme anzuschauen ist sehr angenehm - und der Akku profitiert. Experten zufolge hat Apple das beste Display, das derzeit in einem Smartphone verbaut ist.

Auch für die Kamera gilt: Es ist eine der besten, die es derzeit gibt. Im Selfie-Modus lassen sich nun Fotos schießen, auf denen der Porträtierte scharf, der Hintergrund leicht verschwommen ist. Die Bilder sehen fantastisch aus. Die Lichtverhältnisse werden in Echtzeit analysiert, so ist es möglich, das Gesicht theatralisch unter einen Scheinwerfer zu stellen. Ebenfalls lässt sich der Hintergrund komplett schwärzen. Das klappt im Test allerdings nur bedingt gut. Teilweise wird zu viel abgeschnitten (Hinterkopf), teilweise zu wenig (neben dem Ohr).

Die Gesichtserkennung funktioniert, weil im iPhone X verbaute Infrarotsensoren sowohl 2-D-Bilder als auch ein 3-D-Modell des Gesichts erstellen. Dieses Bild wird in einen Zahlenwert übersetzt und lokal auf dem Gerät gespeichert, in einem eigens abgesichertem Bereich. Ein Passwort muss man so nur sehr selten eingeben, das ist komfortabel.

Im Test funktioniert die Gesichtserkennung zuverlässig. Das Gerät entsperrt, ehe man mit der Hand über das Display wischt, um auf den Bildschirm zuzugreifen. Mit Brille, ohne Brille, ein Auge von der Hand verdeckt, in der Nacht. Problematisch wird es kurz nach dem Aufstehen, wenn man die Augen noch zukneifen muss, weil das Displaylicht zu grell ist.

Da das Gerät nun beinahe randlos ist, fehlt der Home Button, jener Knopf, über den man viele Bewegungen im Smartphone steuern konnte - und das Gerät über einen Fingerabdruck-Scanner entsperrte. Neu sind stattdessen Wischbewegungen, bei denen man sich während der Eingewöhnungsphase vorkommt wie ein Dirigent. Die Bewegungen sind aber schnell erlernt, Apple erklärt sie in diesem Video.

Der Konzern hat ein Gerät gebaut, das aufmerksamkeitsbasiert arbeitet. Bekommt man eine Push-Mitteilung, wird sie auf herkömmlichen Smartphones automatisch angezeigt. Beim iPhone X hingegen steht "Mitteilung" auf dem Bildschirm, mehr nicht. Erst wenn Besitzer das Gerät entsperren, können sie die Nachrichten auch lesen. Für Menschen, die Wert auf ihre Privatsphäre legen, ist das eine tolle Grundeinstellung.

Der eigentliche Star des Geräts ist die Kamera, die 50 verschiedene Muskelbewegungen erkennen kann. Apple zeigt mit seinen Animojis, animierten Emojis, was die Kamera kann. Wer in die Selfie-Kamera spricht und Grimassen zieht, sieht parallel zum Beispiel ein sprechendes, Grimassen ziehendes Einhorn. Das ist sehr unnütz, aber auch sehr lustig. Erste Apps nutzen die neuen Möglichkeiten der Kamera bereits - Snapchat zum Beispiel.

Zu einem für viele unersetzlichen Alltagsgerät wurde das iPhone erst, weil der App Store kluge Anwendungen bietet. Entwickler wiederum kreierten Apps, da sie das iPhone begeisterte. So wird es auch beim iPhone X sein: Die neue Kamera, die Interaktion mit dem Nutzer, all die neuen Funktionen werden App-Entwickler auf neue Ideen bringen.

Am oberen Bildschirmrand nervt der schwarze Balken. Apple redet das Problem klein

Dass Apple noch nicht am Ende der Suche nach dem perfekten Smartphone ist, zeigt sich daran, dass es eben nicht wirklich randlos ist. Um die Technik zu verbauen, musste eine Aushöhlung eingebaut werden. Damit ist der Bildschirm nicht rechteckig, am oberen Rand erscheint ein schwarzer Balken, der einen Teil des Displays verdeckt. Das stört, etwa, wenn man Filme so abspielen will, dass sie den gesamten Bildschirm ausfüllen. Apple-Mitarbeiter versuchen das Problem kleinzureden, indem sie darauf hinweisen, dass man den Bildschirm durch Berührung minimal verkleinern könne. Das stimmt, aber dann legt sich ein dicker, schwarzer Rahmen um das Bild. Beide Optionen sind hässlich. Viele Apps - zum Beispiel Google Maps - bieten gleich ein kleineres Feld. Für zukünftige Modelle sollte sich das ändern. Sollte man also so viel Geld ausgeben? Es ist ein lohnender Kauf für all jene Menschen, die ein großes Display und eine tolle Kamera wollen und die unbedingt erfahren wollen, was Apple sich unter der Zukunft vorstellt. Wer vorerst auf Gesichtserkennung und animierte Einhörner verzichten kann, und trotzdem eine gute Kamera will, für den bleibt das iPhone 8. Zumindest, wenn man Apple-Geräte bevorzugt.

© SZ vom 11.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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