Interview mit Pin-Chef Horst Piepenburg:"Sobald ein Investor da ist, gehe ich"

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Pin-Chef Horst Piepenburg über neue Kunden, alte Probleme - und einen geheimen Masterplan der Deutschen Post.

Henning Hinze

Horst Piepenburg, 53, ist Anwalt und war in den vergangenen 25 Jahren an fast 2000 Insolvenzverfahren beteiligt. Zum angeschlagenen Briefdienstleister Pin kam er vor zwei Wochen - allerdings nicht als Abwickler, sondern als Chef: "Es gibt noch eine letzte Chance", sagt er.

Der neue Chef Horst Piepenburg möchte die Zukunft der PIN-Group sichern. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Piepenburg, Sie sind Insolvenzanwalt, aber als neuer Pin-Chef kündigen Sie an, Hunderte neue Kunden für die Firma gewinnen zu wollen. Das heißt dann also, dass die Zukunft von Pin gesichert ist?

Horst Piepenburg: Ich habe hier vor mir eine Aufgabenliste, die mehrere DIN-A4-Seiten füllt. Da steht: Liquiditätspläne erstellen, untersuchen, was jede der 91 Einzelgesellschaften zur Gruppe beiträgt, Zentralfunktionen prüfen, Aufteilung der Kundenbetreuung unter den Gesellschaften ... und so weiter. Erst Ende des Monats werden wir mit der Analyse fertig sein.

SZ: Es ist also noch alles offen?

Piepenburg: Wir werden im ersten Quartal weiter deutschlandweit Post austragen und ich gehe davon aus, dass wir es auch noch länger tun werden. Deshalb werden wir jetzt gezielt einige hundert gewerbliche Mittelständler ansprechen, die viele Briefe versenden und für die wir Kapazitäten haben. Sie können uns testen und jeden Tag neu entscheiden, ob sie noch bei uns bleiben wollen oder nicht.

SZ: Sie sprechen von einer Vertriebsoffensive, die Deutsche Post dagegen sieht Sie längst in der Defensive. 50 Kunden seien zurückgewechselt, 30 Millionen Umsatz bei Ihnen futsch.

Piepenburg: Die Post spricht inzwischen nur noch von 50 Kunden, die innerhalb der vergangenen zwei bis drei Monate von uns und unserem Konkurrenten TNT abgeworben worden sind. Das ist für uns ganz normale Atmung im Wettbewerb. Wir haben seit der ersten Oktoberwoche mehr als 500 neue Kunden gewonnen und seit Jahresmitte neue Aufträge, die uns über 80 Millionen Euro Jahresumsatz bringen, wenn sie das ganze Jahr bei uns bleiben.

SZ: Aber niemand wechselt doch zu einem Anbieter, den es bald nicht mehr gibt.

Piepenburg: Der Kunde hat nur ein Risiko: Dass wir nicht durchhalten. Dann müsste er zur Deutschen Post zurück. Aber erstens sind wir zurzeit günstiger. Und die Kunden haben ein Interesse daran, dass es auf Dauer Konkurrenten zur Deutschen Post gibt. Eine Entscheidung für uns ist eine Investition in die Entwicklung des freien Briefmarktes und damit in Wettbewerb um die Kunden und um Konditionen.

SZ: Das ist wenig.

Piepenburg: Das ist viel. Post-Chef Klaus Zumwinkel hat mit seinen Beratern einen Masterplan entwickelt. Erster Schritt: Ein allgemeinverbindlicher Mindestlohn von 9,80 Euro, der neue Anbieter aus dem Markt drängt. Jetzt der zweite Schritt: Er macht unseren wichtigsten Kunden Dumpingangebote. Das ist für mich so, als wenn man jemanden foult und danach noch in die Hacken tritt, damit er nicht so schnell wieder aufsteht.

SZ: Es gibt eine politische Mehrheit für diesen Mindestlohn. Dessen Verfechter argumentieren, das Geschäftsmodell von Pin sei einfach nicht tragfähig.

Piepenburg: Wir sind ein Startup-Unternehmen, das gegen einen Monopolisten antreten muss. Das ist doppelt schwierig. Aber es gibt natürlich viel Einsparpotential. Um flächendeckend Briefe austragen zu können, sind viele Gesellschaften gekauft, aber dann nicht integriert worden. Es gibt viele Regionalgesellschaften und Parallelstrukturen, die wir jetzt schnell bereinigen. Der Optimierungsbedarf springt einen förmlich an. Außerdem haben wir Umsatzsteigerungspotential identifiziert. Es ist immer so, dass die Sanierung nicht auf der Kosten-, sondern auf Einnahmenseite gewonnen wird.

SZ: Die Unternehmensberater von Roland Berger sind schon länger bei Pin aktiv und schlagen neben der Zusammenlegung von Einzelgesellschaften vor, Briefe den Zeitungszustellern statt eigenen Briefträgern mitzugeben. Kommt das?

Piepenburg: Es ist noch keine Option verworfen worden.

SZ: Auch weitere Insolvenzen nicht?

Piepenburg: Wir haben seit vergangenen Freitag für sieben weitere Gesellschaften Insolvenz angemeldet. Es sind jetzt siebzehn. Und es können weitere Anträge folgen.

SZ: Wie viele?

Piepenburg: Wir prüfen das für jede Gesellschaft.

SZ: Es könnte also leicht die Hälfte betreffen?

Piepenburg: Es kann die Hälfte betreffen oder zwei Drittel oder fast alle. Wichtig ist, dass die Kunden schon jetzt nicht merken, ob sie von einer insolventen Pin-Tochter bedient werden oder nicht. Wir haben ja schon wichtige Bereiche wie Bremen oder München in der Insolvenz und können den Kunden an diesen Beispielen zeigen, dass alles weiterläuft.

SZ: Kann die Holding in die Insolvenz gehen?

Piepenburg: Das kann ich nicht ausschließen. Wenn es dazu kommt, streben wir die Insolvenz in Eigenverwaltung an, mit Hans-Joachim Ziems und mir an der Spitze und Andreas Ringstmeier als Insolvenzverwalter, der dann Sachwalter der Gläubiger heißt.

SZ: Das klingt nach einem detailliert ausgearbeiteten Plan. Wann also ist es so weit?

Piepenburg: Wir nutzen nur die Instrumente, die uns etwas bringen. Wir prüfen also, ob wir Sanierungsmaßnahmen auf diesem Weg schneller umsetzen können und ob wir positive Effekte auf der Passivseite der Bilanz haben, also Schulden verringern können. Dann entscheiden wir strategisch, in welchen Gesellschaften wir die Instrumente des Insolvenzrechts nutzen, also Insolvenzgeldfinanzierung der Löhne und die Möglichkeit, verlustbringende Verträge schnell lösen zu können. So was geht dann schneller. Ein Insolvenzverwalter kann quasi per Fingerschnippen Verträge beenden.

SZ: Sind Sie als Insolvenzanwalt also in der jetzigen Situation ein besserer Firmenchef als Ihr Vorgänger, der Pin-Gründer Günter Thiel?

Piepenburg: Es gab ja offensichtlich Auseinandersetzungen der Gesellschafter untereinander, zu denen Herr Thiel gehört. Ich bin neutral. Und ich habe großen Wert darauf gelegt, dass der 14-köpfige Verwaltungsrat verkleinert wird, damit wir schneller entscheiden können. Jetzt müssen die Verlage, denen Pin gehört, nur noch bei den strategischen Entscheidungen zustimmen. Das ist eine neue Chance, allerdings auch die letzte. Wir stehen mit dem Rücken an der Wand.

SZ: Welchen Entscheidungen müssten die Altgesellschafter noch zustimmen?

Piepenburg: Dem Verkauf der gesamten Gruppe zum Beispiel.

SZ: Gibt es Interessenten?

Piepenburg: Das Interesse ist sehr viel größer, als ich erwartet habe. Wir haben Anfragen von Finanzinvestoren, von strategischen Investoren, von Deutschen und Ausländern. Was mir auffällt ist: Viele ausländische Investoren kennen inzwischen die Vorteile eines deutschen Insolvenzverfahrens und wissen, dass es einen echten Sanierungsvorteil bringt.

SZ: Strategische Investoren? Konnten Sie das Interesse der Altgesellschafter wieder wecken?

Piepenburg: Interesse wecken noch nicht, aber ich sehe sie ausdrücklich als potentielle Investoren.

SZ: Auch den Axel-Springer-Verlag?

Piepenburg: Alle.

SZ: Herr Thiel als Minderheitsgesellschafter hatte Pin ursprünglich zusammen mit den Regionalgeschäftsführern übernehmen wollen. Was ist mit ihm?

Piepenburg: Ich wüsste nicht, dass er das weiterverfolgt hätte.

SZ: Wann beginnen Gespräche mit Investoren?

Piepenburg: Das Datum steht noch nicht fest. Aber es wird einen virtuellen Datenraum geben, in dem die Investoren die meisten Daten abfragen können. Das geht schneller als in einem physischen. Unsere Priorität ist ganz klar, die Gruppe als Gesamtheit anzubieten.

SZ: Sie schließen die Zerschlagung aus?

Piepenburg: Das kann ich nicht, aber wir haben jedenfalls nur solche Interessenten in die Liste aufgenommen, die die ganze Gruppe kaufen würden.

SZ: Bei ihrem größten Fall, Babcock-Borsig, blieben am Ende 80 Prozent der Arbeitsplätze erhalten. Ab welcher Quote werden Sie bei Pin einmal von einem Erfolg sprechen?

Piepenburg: Wir haben 9000 Mitarbeiter, die im Augenblick eine sehr schwere Zeit durchmachen. Ein großer Teil von denen hat sich gerade erst berufliche Anerkennung verdient. Jeder erhaltene Arbeitsplatz ist ein Erfolg. 100 Prozent wären also ein Ziel, allerdings ist das in der Krise sehr schwierig. Jedenfalls planen wir im Augenblick keinen Personalabbau. Wir haben auch die im Dezember vom alten Management angekündigten Entlassungen gestoppt. Die Maßnahmen, die begonnen waren, sind noch umgesetzt worden, die anderen aber nicht mehr begonnen. Nur der kleinere Teil der damals angekündigten 900 Stellenstreichungen ist also auch wirklich wirksam geworden.

SZ: Kann es sein, dass Sie in fünf Jahren noch Pin-Chef sind?

Piepenburg: Nein. Ich weiß nicht, wann ich gehe, aber spätestens, wenn wir einen Investor gefunden haben, der Pin übernimmt - oder wenn Herr Zumwinkel mit seinem Masterplan Erfolg hatte und Pin abgewickelt wird. Im Gegensatz zu Herrn Zumwinkel scheuen wir den Wettbewerb jedenfalls nicht.

© SZ vom 09.01.2008/sho/mah - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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