Interview: Bitkom-Präsident Dieter Kempf:Angst vor Asien

Lesezeit: 4 min

Das nächste Silicon Valley steht in China: Der neue Präsident des Branchenverbands über die deutsche IT-Branche im internationalen Vergleich und die Skepsis der Menschen gegenüber neuen Technologien.

V. Bernau und T. Riedl

Ohne Gegenstimme wurde Datev-Chef Dieter Kempf, 58, am Freitag zum Bitkom-Präsidenten gewählt. An der Spitze des Verbands für Firmen aus der Informations- und Kommunikationstechnik will er sich dafür starkmachen, dass junge Unternehmer ihr Geschäft leichter finanzieren können. Andernfalls zögen Chinesen oder Inder an den Deutschen vorbei.

Dieter Kempf, neuer Präsident des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom). (Foto: dapd)

SZ: Ihr Vorgänger, August-Wilhelm Scheer, war bekannt für sein Saxofon-Spiel. Sind Sie genauso musikalisch?

Kempf: Ich mag's bodenständiger. Ich spiele Gitarre und Bass, aber nicht auf dem Niveau von Herrn Scheer. Öffentlich auftreten kann ich nur, wenn die Zuhörer den Saal nicht verlassen können. Aber es reicht für drei bis fünf Akkorde.

SZ: Demnächst gibt es also rockigere Töne aus dem Bitkom?

Kempf: Getreu dem alten Spruch: "Stimmen wir unsere Instrumente, oder spielen wir sowieso Rock 'n' Roll?"

SZ: Jetzt machen Sie einen auf Rocker, von der Ausbildung sind Sie Steuerberater. Andere wären wohl besser an der Spitze eines IT-Verbandes, oder?

Kempf: Die Mitglieder des Bitkoms sehen das offenkundig anders. Ich bin seit mehr als 20 Jahren bei der Datev ...

SZ: . .. also einem Anbieter von Software und IT-Dienstleistungen für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ...

Kempf: ... sowie für Unternehmen und die öffentliche Hand. Ich bin Kaufmann - nicht die schlechteste Voraussetzung, das drittgrößte deutsche Softwarehaus zu führen. Sie werden sich wundern: Ich war jahrelang für die Software-Entwicklung und den Betrieb der Rechenzentren zuständig.

SZ: Was haben Sie vor als oberster Lobbyist der IT in Deutschland?

Kempf: Wir haben im Bitkom kürzlich eine Strategie bis zum Jahr 2020 verabschiedet. Die wichtigsten Themen, die wir angehen wollen, sind der Aufbau intelligenter Netze für Energie, Verkehr und das Gesundheitswesen, der Breitbandausbau und der Fachkräftemangel. Ein Dauerthema ist Datenschutz und -sicherheit. Hier will ich persönlich einen Schwerpunkt meiner Arbeit setzen.

SZ: Zumindest beim Thema Energie dürften Sie auf Unterstützung bei Politikern hoffen - nun, da die Bundesregierung die Energiewende beschlossen hat.

Kempf: Das Thema Energie ist eines der Beispiele, wo wir anstehende Aufgaben ohne Verknüpfung mit Informationstechnologie nicht lösen können. Von der Politik erwarte ich verlässliche Rahmenbedingungen und keine Ad-hoc-Gesetze. Davon haben wir schon jetzt zu viele. Wir können nicht alles, was uns stört, mit neuen Gesetzen bekämpfen - insbesondere in der IT. Wenn es etwa ein Datenleck bei einem Unternehmen gibt, braucht es kein neues Gesetz. Es braucht technische, organisatorische und forensische Maßnahmen, um das Leck zu schließen.

SZ: Durch solche Lecks gelangen Kundendaten in falsche Hände. Andere Firmen wie Google, Facebook oder Apple glänzen mit ihrer Datensammelwut. Haben Sie als Chef eines deutschen Verbandes da überhaupt Einfluss?

Kempf: Wir können Standards bei Datensicherheit und Datenschutz setzen. Hier ist Deutschland weltweit führend, und diese Vorreiterrolle hat natürlich auch Auswirkungen auf die Big Player. Mit dem Datenschutzkodex für Bilderdienste wie Google Street View oder Microsoft Streetside ist uns das sehr gut gelungen. Allerdings haben Selbstverpflichtungen Grenzen. Microsoft und Google können Verbrauchern die Möglichkeit geben, vor Veröffentlichung von Fotos ihrer Fassaden Widerspruch einzulegen. Große Konzerne können das bewältigen, Mittelständler werden mit solchen Vorgaben schnell überfordert.

SZ: Viele Verbraucher haben das Gefühl, die US-Unternehmen machen mit ihnen und ihren Daten, was sie wollen. Hat der Bitkom da wirklich genug getan?

Leben mit Technik
:Google und wie es die Zukunft sieht

Ein Staubsauger mit Android-System scheint nicht mehr allzu fern. Ferngesteuert wird er aus dem Netz, wo zukünftig alles zusammenläuft. Google-Entwickler haben nun vorgestellt, wie die Technik funktionieren soll.

Kempf: Bei der Aufklärung haben wir viel getan, gemeinsam mit der Bundesregierung. Genug? Das ist bei solchen zum Teil völlig neuen Diensten sicherlich schwierig. Wir in Deutschland sind sensibel, was Datenschutz angeht. Manchmal neigen wir auch dazu, etwas zu überziehen und damit Chancen zu verpassen. Die Amerikaner sind oft etwas forsch. Wir sollten durch intelligente Wirtschaftspolitik dafür sorgen, dass das nächste Google aus Deutschland kommt und unser Rechtsverständnis in die Welt trägt.

SZ: Die Branche verliert Vertrauen, wenn Firmen zu Datenkraken mutieren oder Informationen verschlampen.

Kempf: Richtig. Vertrauen ist schnell verspielt und nur langsam wieder aufgebaut. Aber wir dürfen die Verantwortung der Verbraucher nicht vergessen. Es gibt eine Reihe sozialer Netzwerke, die den Datenschutz intensiver berücksichtigen, als es Facebook tut - und das sind Firmen mit deutschen Wurzeln. Dennoch erhält keine Webseite im Moment so viel Zulauf wie Facebook. Offenkundig spielt der Datenschutz auch für viele Deutsche nicht die vorrangige Rolle.

SZ: Deutsche Firmen treffen also nicht den Nerv der Kunden?

Kempf: Das würde ich nicht nur an sozialen Netzwerken festmachen. Es ist unser Anliegen, die Kraft der in Deutschland ansässigen Unternehmen aus der IT- und Internetwelt zu stärken. Dazu zähle ich auch Microsoft oder IBM. IBM hat riesige Forschungslabore in Deutschland, im Umfeld von Microsoft arbeiten Tausende mittelständische Dienstleister.

SZ: US-Unternehmen wie IBM gelten für Sie als hiesige Firmen? Deutschland als IT-Standort mit eigener Industrie haben Sie wohl schon aufgegeben.

Kempf: Ganz und gar nicht. In der betriebswirtschaftlichen Software sind deutsche Firmen sehr stark. Wir sind sehr gut bei Steuerungssystemen, die in Autos, Maschinen oder Medizintechnik eingebaut werden. Das ist ein Multi-Milliarden-Markt. Komplexe Kommunikationssysteme wie Toll Collect beherrschen wir. Gegenüber USA und China müssen wir zulegen.

SZ: Die Übermacht der Amerikaner muss Ihnen doch Angst einflößen.

Kempf: Ängstlich macht mich das nicht, eher neidisch. Wenn ich sehe, wie schnell es jungen Firmen in den Vereinigten Staaten gelingt, mit tollen Ideen Geld einzusammeln - Hut ab. Das ist ein Grund, warum es so viele US-Unternehmen so schnell zu Weltrang gebracht haben. Bald werden wir ähnliches in Indien oder China erleben. Diese Länder haben viele gut ausgebildete Informatiker. Wenn die Finanzierung von Firmen dort verbessert wird, werden wir ein zweites oder drittes Silicon Valley in Asien sehen. Wir tun uns da sehr schwer. Es gibt zu wenig Gründungskapital und zu wenig Wachstumsfinanzierung.

SZ: Müsste Ihre Branche nicht schon deshalb mehr tun, um junge Leute zu begeistern?

Kempf: Natürlich. In den vergangenen 30 Jahren haben wir uns selbst eine gewisse Technikskepsis anerzogen. Das beginnt in den Schulen. 40 Prozent der Schulabgänger äußern als Berufswunsch Künstler. Zu wenige entscheiden sich bei Ausbildung oder Studium für Naturwissenschaften. Das müssen wir ändern. Wir müssen die Lust junger Menschen fördern, Technologien mitzugestalten.

© SZ vom 18.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: