Internet-Werbung:Einmal Schuhe, immer Schuhe

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Individualisierte Reklame soll Verbraucher zum Konsum anregen. Doch die sind eher genervt. (Foto: Leon Neal/AFP)

Wer im Internet surft, stößt häufig auf Werbung, die auf ihn zugeschnitten ist. Wie funktioniert so etwas eigentlich? Und wie sicher sind die Daten?

Von Nikola Noske

Personenbezogene Werbung im Internet treibt manchmal seltsame Blüten. Wer bei Facebook zum Beispiel seine Profileinstellungen von männliches auf weibliches Geschlecht ändert, wird plötzlich nicht mehr mit Anzeigen für Investmentfonds konfrontiert, sondern mit Schuhwerbung. Viele wundern sich auch, dass ihnen online auf einmal Werbung für ein Produkt gezeigt wird, das sie bereits erworben haben. Unternehmen versprechen sich viel von diesem Konzept: Durch Werbung, die perfekt auf den Kunden abgestimmt ist, soll dieser dazu angeregt werden, mehr zu kaufen, und sich vom Unternehmen verstanden fühlen. Doch Verbraucher sind davon eher genervt, wie Studien belegen.

Rund die Hälfte der Befragten lehnt personenbezogene Anzeigen ab, zeigt eine Umfrage des Marktforschungsunternehmens W3B. Und nur sechs Prozent der Befragten empfinden personalisierte Werbung als angenehm. Die Verbraucher sind der Studie zufolge vor allem deshalb kritisch, weil sie um ihre Daten fürchten und sich zum Teil von den Unternehmen ausgespäht fühlen. Sie können zudem schlecht nachvollziehen, wie die Konzerne an Informationen über sie herankommen und dementsprechend Anzeigen schalten.

Der neueste Trend ist haptische personalisierte Werbung: Gutscheine, Werbegeschenke

Auch Thomas G. Müller, geschäftsführender Gesellschafter bei dem Medien-Dienstleister MKM Media, ist davon überzeugt, dass bei personenbezogener Werbung noch einiges falsch läuft. Sie könnte besser funktionieren, denn eigentlich habe diese im Vergleich zu Massenwerbung einen entscheidenden Vorteil: Erhalte der Kunde nur noch Angebote, die wirklich zu ihm passen, sei der Nutzen für ihn größer - und auch für die Unternehmen, die damit gezielter Kundschaft ansprechen und so mehr verkaufen könnten.

Die genaue Ansprache von Zielgruppen im Online-Marketing nennt sich Targeting. Dafür arbeiten die meisten Online-shops mit Adservern, also Programmen, die die Auslieferung der Werbung steuern. Bisher funktioniert personalisierte Werbung auf den meisten Seiten über Cookies. Das sind kleine Textdateien, die vom Browser des Nutzers gespeichert werden. Die meisten Cookies enthalten eine eindeutige Kennung, die sogenannte Cookie-ID. Damit ist es möglich, den Browser des Nutzers von anderen Browsern zu unterscheiden. So können Webseiten zum Beispiel Passwörter speichern oder sich Produkte im Warenkorb eines Onlineshops merken. Das Speichern der Cookies können Nutzer zwar in den Browser-Einstellungen deaktivieren, das ist aber kaum praktikabel. Denn viele Webseiten funktionieren ohne Cookies gar nicht mehr.

Eine weitere Identifikationsmethode, die bisher seltener zum Einsatz kommt, ist das Browser-Fingerprinting, das ohne Cookies funktioniert. Dabei werden von beliebigen Webseiten Informationen über das vom Nutzer verwendete System gesammelt. Einige Informationen oder Merkmale werden auch vom Computer automatisch an den Webserver geschickt, andere lassen sich durch Programme wie Javascript oder Flash auslesen. Merkmale können zum Beispiel die Liste der installierten Software, Sprachen und Schriftarten sein oder das verwendete Betriebssystem. Werden diese Daten zusammengesetzt, ergibt sich daraus ein digitaler Fingerabdruck, mit dem der Nutzer erkannt werden kann. Dieser lässt sich nicht löschen.

Hat ein Unternehmen einen Nutzer identifiziert, kann es Werbung an ihn verschicken, die zu ihm passt oder zu der Zielgruppe,der er angehört. Doch damit diese Werbung auch Früchte trage, müsse Transparenz an erster Stelle stehen, sagt Werbeexperte Müller. Fühlten sich Kunden von den Unternehmen ausgespäht, verhindere das den Erfolg der Werbung. "Zwischen Unternehmen und Kundschaft gibt es da bisher ein Kommunikationsdefizit", sagt er. Denn eigentlich sei klar geregelt, welche Informationen Firmen verwenden dürfen.

Nach einer EU-Richtlinie muss der Kunde der Nutzung seiner Cookies für Werbezwecke erst zustimmen. Da diese Richtlinie aber für die Mitgliedsländer nicht verpflichtend sind, reichte es in Deutschland bisher, den Internetnutzer darüber zu informieren. "Die deutsche Rechtslage ändert sich aber, weil im Mai 2018 die EU-Datenschutz-Grundverordnung in Kraft tritt", erklärt Müller. Dann ist auch in Deutschland vorgeschrieben, dass der Kunde der Nutzung seiner Daten für Werbezwecke erst zustimmen muss.

Ein Großteil der Onlinewerbung läuft über Facebook und Google. Im vergangenen Jahr verzeichnete Facebook einen weltweiten Werbeumsatz von 22 Milliarden Euro. Bei Google war es sogar fast doppelt so viel. Dank Suchanfragen, Likes und Posts können Werbekunden dort genau bestimmen, an welche Nutzergruppen sie sich wenden müssen, um potenzielle Kunden zu erreichen. Bei Facebook läuft das über ein Programm, das die Werbeanzeigen managt. Dort können die Firmen angeben, an welche Zielgruppen ihre Werbung ausgespielt werden soll.

Viele Internetnutzer fürchten, dass Facebook und Google ihre Daten an andere Webseiten weitergeben. Das sei in der Praxis aber gar nicht möglich, erklärt Müller. Nutzerprofile dürften nur unter Pseudonym und nicht unter dem eigentlichen Namen der Person erstellt werden. Rechtlich gesehen dürfen die Konzerne zudem nur anonymisierte Daten an Unternehmen kommunizieren. Daten von Privatpersonen dürfen sie nicht an Unternehmen weitergeben. "Alles andere ergibt wirtschaftlich für Facebook auch keinen Sinn", sagt Müller. Würden Informationen über Nutzer direkt an die Werbekunden weitergegeben, wären diese nicht mehr auf den Werbeanzeigenmanager angewiesen. Sie könnten ihre Werbung anhand der Informationen einfach selbst personalisieren.

Die Angst, Facebook könnte persönliche Daten weitergeben, entsteht bei vielen wahrscheinlich durch das sogenannte Retargeting. Dabei wird der Besucher, beziehungsweise seine Computer-Identifikationsnummer, von Adservern markiert. So kann er auf anderen Webseiten wiedererkannt und mit gezielter Werbung angesprochen werden. Ziel des Verfahrens ist es, Kunden, die bereits Interesse gezeigt haben, kontinuierlich anzusprechen. Hat ein Nutzer einen Onlineshop besucht und loggt sich vom selben Computer aus bei Facebook ein, kann Facebook seine Identität ermitteln. Über den Werbeanzeigenmanager können die Betreiber des Onlineshops dann wiederum bestimmen, welche Werbung dem Kunden gezeigt wird, wenn er sich ein bestimmtes Produkt im Shop angeschaut hat.

"Durch Retargeting kommt es auch dazu, dass der Kunde Werbung für Produkte erhält, die er bereits erworben hat", sagt Müller. Die Firmen stellten dann im Werbeanzeigenmanager zum Beispiel ein, dass der Kunde, wenn er sich davor ein Produkt im Onlineshop angeschaut hat, dasselbe Produkt noch mal angezeigt bekomme - unabhängig davon, ob er es gekauft habe oder nicht. Für den Experten ist zwar erwiesen, dass Retargeting die Kaufquote steigern kann. Doch der eigentliche Erfolg hänge davon ab, ob die Intention des Verbrauchers richtig eingeschätzt werde.

Nicht immer handelt es sich um künstliche Intelligenz. Manchmal auch nur um "Wenn-dann-Logik"

Denn wenn Kunden im Netz dauerhaft mit mehr oder minder passender Werbung konfrontiert werden, verfehlt diese oft ihre Wirkung. "So entsteht eine Reizüberflutung, die nicht effizient ist", sagt Müller. Schon heute sagen mehr als zwei Drittel der Deutschen, dass sie sich von zu viel Werbung bombardiert fühlen, wie sich einer Studie des Marktforschungsunternehmens Yougov entnehmen lässt.

Einige Onlineshops erweitern daher diese Art von Werbung schon: Sie personalisieren nicht nur Online-Anzeigen, sondern verschicken auch personalisierte Werbung zum Anfassen, wie Gutscheine, Newsletter oder Werbegeschenke. Als Beispiel nennt Müller den Müslihersteller Mymuesli. Dieser verwendet Daten, die der Kunde in seinem Konto online hinterlegt, nicht nur für Online-Anzeigen, sondern auch für auf den Nutzer zugeschnittene Werbeprodukte. "Zum Beispiel können wir einen Newsletter, der hauptsächlich Schokoladen-Produkte enthält, vorrangig an Kunden schicken, die schon mal Schokomüsli in einer Bestellung hatten. Oder ein besonders treuer Kunde bekommt ein besonderes Angebot", sagt Florian Breiner, Marketingexperte bei Mymuesli. Dahinter stecke aber keine künstliche Intelligenz, sondern einfache "Wenn-dann-Logik".

Solche haptische personalisierte Werbung biete auch für größere Unternehmen Chancen, sagt Müller: "Dadurch, dass der Kunde das Werbeprodukt in der Hand hat und nicht einfach wegklicken kann, entwickelt er einen engeren Bezug dazu." Allerdings fehlten bisher technische Lösungen, um große Datenmengen auszuwerten. Daher sei der Markt noch sehr klein.

Werden intelligentere Algorithmen entwickelt, könnte es aber sein, dass mehr große Online-Anbieter haptische personalisierte Werbeprodukte einsetzen. "Solche Werbung wird Online-Anzeigen langfristig zwar nicht ersetzen", sagt Müller. Würden beide Strategien aber kombiniert, könnte das jene Wirkung haben, die Onlineshops anstreben: Sie könnte Kunden zu mehr Käufen bewegen und enger ans Unternehmen binden.

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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