Inszenierter Skandal:Florida-Rolf, Kindergeld-Klaus

Lesezeit: 1 min

Die Nachricht sorgte landesweit für Erregung: Betrug beim Kindergeld! Mitarbeitern des Finanzministeriums war aufgefallen dass trotz sinkender Geburtenzahlen die Ausgaben für das Kindergeld stetig steigen.

Von Ralf Hertel

(SZ vom 12.12.03) — Selbst wenn man die Erhöhung der Zahlungen unter der rot-grünen Regierung berücksichtige, bleibe ein immenser Fehlbetrag. Der Bundesrechnungshof sei bei der Überprüfung der Auszahlungen zu "einem alarmierenden Ergebnis" gekommen und habe eine "Fehlerquote von bis zu 20 Prozent" bemerkt.

Ominös sprach der Spiegel von "verschwundenen Milliarden" und deutete an, dass Bürger, die für ihre Kinder an mehreren Orten kassierten, den Staat um zehnstellige Beträge prellen würden.

Kriminelle Energie?

Deutschland, ein Land der Betrüger und Abzocker? Kommt nach Florida-Rolf nun Kindergeld-Klaus? Sicherlich mag es vereinzelte Betrugsfälle geben, aber ob die kriminelle Energie, die unterschwellig einer ganzen Nation unterstellt wird, wirklich existiert, ist fraglich.

Beim Rechnungshof fühlt man sich falsch wiedergegeben, die Fehlerquote enthalte auch reine Formfehler, eine große Anzahl an Betrugsfällen könne man nicht erkennen. Auch beim Familienministerium kennt man andere Gründe für den Zuwachs der landesweiten Kindergeldsumme: So erhalten seit 1995 auch Ausländer unter bestimmten Auflagen Kindergeld. Dazu kommt, dass die Zahl der Studenten und Doktoranden seit 1998 deutlich gestiegen ist - und damit auch der Kreis derer, für die potenziell Kindergeld beantragt werden kann.

Hysterie

Ob der angebliche Skandal eine Nachrichtenente ist, werden erst die jetzt einsetzenden Untersuchungen beantworten. Jedenfalls kam noch im April die Zeitschrift Finanztest zu dem Ergebnis, dass die Familienkassen wegen Überlastung oft berechtigte Anträge ablehnen, also zu wenig Kindergeld auszahlen. Aber der vermeintliche Skandal passt zu der um sich greifenden, vom Sozialneid befeuerten Hysterie ums ständig weniger werdende Geld.

Die Meldung folgt der Logik der Empörung, die durch den Nachsatz, es könne statt Betrug womöglich auch andere Erklärungen geben, kaum abgefedert wird.

Es ist die Nachricht, die wir hören wollen, um rechtmäßig empört auf der richtigen Seite zu stehen. Sie untermauert eine Verdrängungsstrategie in Zeiten ständiger Gehaltskürzungen und drohenden Jobverlusts: Die Ehrlichen sind die Dummen.

Die Wahrheit liegt woanders

Wem es finanziell schlechter geht als anderen, der kann sich einbilden, dass das nur von einem geraden Rückgrat zeuge. So wird die eigene Misere umgedeutet in charakterliche Tugend.

In der Meldung vom Kindergeldbetrug gehen die Sorge um das Ende des Sozialstaats und persönliche Verdrängungsmechanismen eine alarmistische Melange ein. Wahr muss sie deshalb nicht sein.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: